Heute geht’s über die Grenze nach South Dakota, Richtung Hot Springs. Von dort wird es 'nur' noch etwa 100 km bis Mount Rushmore sein. Ich habe gestern noch eine Nachricht von Valentin erhalten, dass er an der Kreuzung des Highway 385, den ich nehmen werde, und Highway 18, woher er kommt, warten wird. Er hat die letzten Tage im Rosebud Indianer Reservat verbracht und ist durch ein weiteres Reservat, Pine Ridge, nach Oelrichs, unseren Treffpunkt gelangt. Als ich mich auf den Weg mache, ist es stark bewölkt und ich hoffe, dass es trocken bleibt. Habe ich jemals etwas über 'unendliche Weiten' gesagt? Ich hatte ja keine Ahnung, was mich hier noch erwarten würde. Die nicht enden wollenden Maisfelder in Iowa haben zumindest auf menschliche Existenz hingewiesen. Hier, an der Grenze zu South Dakota beginnt das Land nur noch aus nicht-endend wollenden Fläche trockenen Graslands zu bestehen. Die Distanzen zwischen Dörfern werden immer grösser. Ich fahre von Chadron 50 km, bis der erste Ort auftaucht. Dazwischen gibt es nicht mal eine unbediente Tankstelle. Und als ich die Staatsgrenze überfahre, gibt es nicht mal ein Welcome-Schild. Das ist das erste Mal in den letzte sechs Wochen, und es ist nun doch der neunte Staat, den ich befahre. Zusammen mit den dunklen Wolken, die über dem ganzen Land zu hängen scheinen, überkommt mich ein beklemmendes Gefühl. Es gibt Tage wie dieser, wo ich mir schon nach den ersten 5 km wünsche, es wäre Abend und mein Motel tauche gleich um die Ecke auf. Ich hoffe, Valentin wartet tatsächlich in Oelrichs auf mich. Oelrichs ist ein Ort, der hauptsächlich aus Mobile-Homes besteht. Einmal mehr frage ich mich, mit meiner eindimensionalen Züri-Perspektive, wie man an einem solchen Ort leben kann. Was für Perspektiven haben die Leute in solchen Regionen? Ich denke, man muss wirklich hier draussen geboren sein, um es zu verstehen. Und wenn man ehrlich ist, gibt es auch genügend Leute, die weg ziehen, oder wollen. Das zumindest sagen die vielen verlassenen Häuser, oder jene, die ein For-Sale-Schild im Vorgarten stehen haben. Doch für mich ist Oelrich der Ort, wo es heute ein freudiges Wiedersehen mit Valentin geben soll. Und er ist tatsächlich dort! Es ist kurz nach 12.00 und da er vor Ort übernachtet hat, ist er bereits seit 09.00 an der Tankstelle am warten. Er hat sich offenbar bei vorbeifahrenden Bikern erkundigt, ob sie mich auf dem Highway gesehen haben. Wie gesagt, als Velofahrer ist man hier ein Paradiesvogel und alle versichern ihm, dass die blonde Frau auf dem Fahrrad unterwegs sei. Valentin hat eine Höllennacht hinter sich: Ein Sturm gestern Abend, der in Chadron lediglich ein Regenschauer war, hat ihn mit samt seinem Zelt umgeblasen und alles unter Wasser gesetzt. Dies ist nur einer der vielen Gründe, weshalb ich Motels bevorzuge... Aber ich fühle mit ihm. Als nächstes erzählt er mir von seiner Teilnahme am Crow Dog Sundance in Mission, im Rosebud Reservat. Es ist unglaublich, was er erlebt hat! Er ist an der Tankstelle in Valentine von zwei Natives angesprochen worden auf sein Velo und die haben ihn schlussendlich eingeladen, an einem jährlichen Ritual der Lakota-Indianer teilzunehmen. Dieses begann um 04.00 morgens mit Gebeten und einer Reinigung. Die Reinigung bestand aus Rauch von Salbei und Zeder, der mit den Händen entlang dem Körper und Kopf gestrichen wird. Eine Stunde später begann die Gruppe, bestehend aus Jung und Alt, Frauen und Männern, zu tanzen – den besagten Sundance. Es wurde dabei gesungen und alle bewegten sich im Kreis um einen grossen Baum in der Mitte. Den eigentlichen Mittelpunkt des Ganzen bildeten Auserwählte, die mit Metallhaken in ihrer Haut - ja wirklich, Haut - an Seilen mit dem Baum verbunden waren. Und jetzt das Krasse an der ganzen Sache: Am Ende mussten sich diese Leute von den Haken befreien, ohne dabei die Hände zu benutzen oder die Hilfe von anderen in Anspruch zu nehmen. Falls jemand wissen will, was das genau bedeutet: Ich habe vor vielen Jahren, man könnte sagen, als ich noch jung war, mal den Film A man called horse mit Richard Harris gesehen. Der Film aus 1970 gilt als erster realistischer Indianer-Film, lange bevor Der mit dem Wolf tanzt. Dieser zeigt unter anderem eben dieses Ritual. Ich habe es damals kaum ertragen, hinzusehen. Und das war ein Film. Ich kann fast nicht glauben, dass diese Tradition heute noch so gelebt wird und Valentin als Aussenstehender mit dabei war. Ein anderes Ritual ist das Opfern von eigenem Fleisch, damit ein geheimer Wunsch in Erfüllung geht. Valentin zeigt mir seinen linken Oberarm: Offensichtlich hatte er einen dringenden Wunsch, den er sich mit der Opferung von zwei Stecknadel grossen Stückchen Haut hat erfüllen wollen. Ich starre ihn mit offenem Mund an, alles was ich sagen kann: "You are crazy!!!" Aber mit ist bewusst, dass er etwas sehr Aussergewöhnliches erlebt hat, wovon nur ganz wenige Leute ausserhalb der Lakota-Community Zeuge werden. So hat er auch keine Fotos oder Videos, die er mir zeigen kann – das wurde verboten. Alles was er hat ist eine Audioaufzeichnung der Gesänge, zwei Narben und unvergessliche Erinnerungen. Ich beneide ihn darum, weiss aber auch, dass dies für mich nicht möglich gewesen wäre. Als Frau alleine in einem Reservat unterwegs zu sein, ist nicht ungefährlich. Und aus Valentin’s Erzählungen zu schliessen, sagen dies vor allem auch die Leute selber, die dort wohnen. Nachdem wir uns wieder halbwegs Up-to-Date gebracht haben, machen wir uns kurz nach 13.30 auf den Weg nach Hot Springs. Zum ersten Mal seit Chicago gönne ich mir ein, zwei Glas Weisswein. Valentin und ich sind uns einig: Apéro ist etwas, was wir von zu Hause vermissen. Sich mit Freunden am Abend auf ein Glas Wein treffen oder mit Arbeitskollegen um die Ecke noch kurz ein Bier trinken gehen - darauf freu ich mich, wenn ich im kalten Winter wieder zu Hause ankomme. Denkt beim nächsten Apéro an mich!
Heute steht eine kurze Strecke von 50 km auf dem Plan. Ich wollte ursprünglich von Hot Springs nach Keystone und dann von Norden an Mount Rushmore vorbeifahren. Doch jetzt so kurz davor, scheint der Weg über Custer, also von Süden sinnvoller. Leider hat das Motel 6 in Hot Springs kein funktionierendes WiFi, so dass ich weder Laptop noch Handy benutzen konnte, um gestern Abend noch ein Motel-zimmer online zu reservieren. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als heute Morgen darauf zu vertrauen, dass ich vor Ort etwas finden werde und dass dieses Etwas bezahlbar sein wird - es ist immer noch Bike-Rally in Sturgis. Notfall-Plan wäre Camping mit Valentin - wie gesagt Not-Notfall. Denn der Wetterbericht für die nächsten Tage ist in etwa so, wie in der Schweiz in den letzten Wochen: Regen, Regen, Regen. Valentin hat gestern Nacht bei mir im Zimmer übernachtet, da es nach unserem Bison-Beef-Dinner bereits zum ersten Mal geregnet hat. Glück-licherweise ist es trocken, als wir uns heute Morgen auf den Weg machen. Wir starten in Hot Springs auf 3'440 ft., der Zielort liegt auf rund 5'300 ft. Wir gewinnen weiter an Höhe mit jedem Kilometer und die Graslandschaft der letzten Woche scheint weit weg. Wunderschö-ne Matten, Felsgebilde und Bergkuppen tauchen um uns auf. Wir kommen nach rund 20 km im Wind Cave National Park an. Hier soll es freilebende Bisons geben und wir hoffen natürlich, dass wir einen oder eine Herde zu Gesicht bekommen. Heute ist unser Glückstag! Bereits nach wenigen Kurven sichten wir einen in der Nähe der Strasse. Wir sind die ersten, die ihn sichten und sind aufgeregt wie die kleinen Kinder. Va-lentin kreischt: "A bison, a bison, look, look, it's a bison!" und ich quietsche "Oooh, it's soooo beauuuuutiful! Look at it. I can't believe it!" Und so weiter... Inzwischen halten auch Autos und Töffs an, um das Tier zu bestaunen und zu knipsen. Nach 20 Minuten müssen wir uns rich-tig loseisen, um wieder in die Gänge zu kommen. Wir sehen auf unserem weitern Weg durch den Park eine liegende Antilope und süsse Prairie Dogs. Dann fahren wir in den Black Hills National Forest ein. Der Himmel um uns rum sieht bedrohlich aus. Überall hängen dunkle Wolken und immer wieder hören wir Donner und sehen Blitz. Wir haben noch etwa 10 km bis zum nächsten Ort, Pringle. Auf der Strecke bis dort hin gibt es keinerlei Unterstände. Ich bin guten Mutes, dass wir es ohne nennenswerten Regenschauer bis Pringle schaffen, Valentin schwört, dass wir nicht um den Sturm rumkommen. Wir schliessen eine Wette ab - Apéro steht auf dem Spiel. Ich hab gewonnen :) Wir kommen trocken in Pringle an, obwohl ich selber teilweise daran gezweifelt habe. Der Donner war teilweise so nahe und laut, dass ich einmal tatsächlich zusammengezuckt bin und die Augen zusammengekniffen habe... In Pringle setzen wir uns an einen Tisch der Hitch Rail Bar, um zu Mittag zu essen. Eine ältere Dame setzt sich mit ihrem Hot Dog und Bulldogge zu uns. Pat, 72-jährig, wohnt in den Black Hills mit ihrem Hund und zwei Pferden. Wir besprechen mit ihr unsere weitere Route durch Wyoming. Ich habe seit Tagen Zweifel, ob meine geplante Strecke ein gute Wahl ist. Wyoming soll windmässig am anspruchsvollsten sein. Und meine Planung führt mich über offenes Grasland und Strecken, wo es bis 100 km keine Ortschaft gibt. Unter Umständen schaffe ich nicht mehr als 40 oder 50 km an einem windigen Tag. Uns haben Biker erzählt, sie hätten mit Töffs keine Chance gehabt an gewissen Tagen und wären erst am nächsten weitergefahren. Ich weiss inzwischen, dass der Hang zur leichten Übertreibung oder Dramatik hier weitverbreitet ist. Aber Wyoming wird anspruchsvoll werden, das ist sicher. Schlussendlich haben wir drei weitere Personen am Tisch, die mit mir und Valentin die Planung der nächsten Woche über den Haufen werfen. Pat offeriert sogar, mich und Valentin mit unseren Velos nach Gilette zu fahren. Das wäre dann der halbe Staat in ein paar Stunden. Wir lehnen dankend ab. Das Einzige was von meiner ursprünglichen Wyoming-Planung schlussendlich noch bleibt ist der erste Ort, Newcastle, und der Yellowstone am Schluss. Ich weiss jetzt zwar, in welche Richtung es geht, nördlicher, näher an Montana ran. Aber wo ich übernachten werde, wie weit ich pro Tag komme ist noch offen. Ich lerne hier draussen noch richtig last-minute-flexibel und spontan zu werden! Wir sitzen über eine Stunde vor dem Restaurant und amüsieren uns bestens. Dann wird es wieder Zeit aufzubrechen. Und nur etwa 10 Minuten später, fängt es doch noch an zu regnen. Glücklicherweise hört es nach rund 20 Minuten wieder auf. Für die 50 km haben wir heute eine halbe Ewigkeit gebraucht, aber haben wieder mal viel erlebt und gesehen. Wir kommen kurz vor 17.00 in Custer an und finden im Cowboy Inn ein Zimmer mit zwei Queen Beds für 150 USD. Der Preis für das 1.5-Sterne-Motel, wo das Licht im WC nicht funktio-niert, das Telefon tot ist, kein Shampoo oder Seife im Bad zu finden ist und der Wasserhahn mit Gummiband behelfsmässig geflickt wurde ist gelinde gesagt frech. Aber: Es ist Rally-Week... Und ich bin einfach nur froh, muss ich nicht draussen im Regen und der Kälte campen. Sogar Valentin ist heute nicht nach Zelten zu Mute und wir teilen uns die Kosten des Zimmers. Es macht viel Spass mit meinem neuen fränzösischen Kollegen unterwegs zu sein. Morgen werden wir uns wohl wieder trennen, nachdem wir zusammen noch Mount Rushmore besucht haben. But we will meet again!
Valentin hat auf mirakulöse Weise gestern Abend noch einen Transfer für uns zu Mount Rushmore organisiert. Wir haben beim Nachtessen eigentlich besprochen, dass wir am Morgen Autostopp machen würden, in der Hoffnung, dass uns jemand die über 30 km lange Strecke nach Norden zu den vier Präsidenten mitnehmen würde. Und idealer-weise auch wieder zurück. Wir hoffen auf eine Mitfahrgelegenheit mit einem der Tausenden Bikern, die im Moment auf den Strassen der Black Hills zu sehen sind. Bei uns im Motel sind die Parkplätze zu 90% mit Harley's besetzt - da wird ja wohl der eine oder andere noch ein Plätzchen haben und bei Mount Rushmore vorbeifahren. Um 23.00 ver-kündet mein französischer Kollege, er habe über irgendeine App einen gewissen Jerry kontaktiert, der in der Nähe mit seinem Camper und seinen beiden Hunden unterwegs ist. Und der will am selben Tag wie wir Mount Rushmore besuchen. Um so besser. Wir treffen Jerry um 08.00 bei uns auf dem Motelparkplatz. Der Deal ist, dass er bei uns duschen darf und er dafür Platz in seinem Pickup-Truck für uns findet, für unser Sight-Seeing-Vorhaben. Jerry ist seit Monaten mit seinem Pickup-Truck mit integriertem Camper und seinem Jeep dahinter angehängt, mit Kanus drauf, unterwegs. Da lässt er sich keine Möglichkeit für eine Dusche entgehen. RVs respektive Camper mit einem Auto hinten dran angehängt ist ein vielgesehenes Bild hier auf den Strassen. Aber so abenteuerlich wie der von Jerry, sehen die wenigsten aus. Auf dem Dach hat er Hirschgeweihe und Schädelknochen verschiedenster Wildtiere. Als Begleitung hat Jerry einen Labrador, Yukon, und einen Golden Retriever, Montana, mitdabei. Unser neuer Freund ist Mitte 50 und arbeitet seit über 10 Jahren nicht mehr. Er hat damals seine Firma und zwei Häuser verkauft, sich von seiner Frau getrennt und reist seither in den USA, Kanada und Südamerika in seinem Camper herum. Seine Routen plant er quasi 'on the go': Nach unserem Trip muss er erstmal auf der Landkarte nachschauen, wo er nachher hinfahren will. Dieser Mann ist der Inbegriff von Spontanität. Mount Rushmore ist ein beeindru-ckendes Werk. Der Beginn der Arbeiten war in 1927. Da wurde mit hand-betriebenen Maschinen am Berg gearbeitet. Der Plan war ursprünglich, die Präsidenten bis Hüfthöhe abzubilden. Aus Geldmangel kam es nie soweit. 1941 wurde das Monument schlussendlich für vollendet erklärt. Heute kommen rund drei Millionen Leute pro Jahr vorbei, um Lincoln, Washington, Jefferson und Roosevelt in Stein gesprengt und gemeiselt zu bestaunen. Und ich habe das Gefühl, dass, grob geschätzt, mindestens ein Drittel davon heute mit uns vor Ort sind. Und dreiviertel davon Motorradfahrer und -clubs aus der ganzen Welt. Ein riesen Zirkus, der mich an meinen Besuch im Taj Mahal vor über fünf Jahren erinnert. Erst als wir die 250 Stufen des Presidential Trails besteigen, um näher an das Werk heranzukommen wird es auf einmal ruhiger. Muss wohl am 'Warnschild' liegen, das beim Visitor's Center auf den 'strenuous climb' aufmerksam macht. Wir sprechen von 250 Stufen, im Schatten von Föhren und sonstigem Gestrüpp, wobei immer wieder Plattformen die Möglichkeit für eine kurze Pause bieten. Gut für uns! Meine beiden Begleiter sind nicht so begeistert von dem Monument - zu viele Touristen und Tamtam. Ich finds beeindruckend. Vor allem auch die Aussicht von hier oben auf die riesigen Black Hills. Kurz vor Mittag sind wir wieder in Custer City, verabschieden uns von Jerry, Yukon und Montana und machen uns gemeinsam auf den Weg ins westlich gelegene Newcastle in Wyoming. Die schöne, über drei Stunden dauernde, Fahrt wird permanent vom ohrenbetäubenden Lärm der grossen Harleys & Co. begleitet. Das erste Mal empfinde ich die motorisierten Zweiräder als wirklich nervend und störend. Glücklicherweise verlassen wir nun 'Sturgis Rally-Terrain' und hoffen auf mehr Ruhe. Gegen 16.00 über-fahren wir die Grenze nach Wyoming, der Cowboy State. Unsere Zeit in South Dakota war kurz, umso länger werden wir uns nun in Wyoming aufhalten - wahrscheinlich rund 10 Tage. Der wunderschöne Yellowstone allein wird einige Tage in Anspruch nehmen. Ich besorge mir in Newcastle eine Strassenkarte von Wyoming und informiere mich, ob es in diesem Staat gestattet ist, mit dem Velo auf der Interstate, sprich Autobahn, zu fahren. Wir haben herausgefunden, dass es in gewissen Staaten erlaubt ist und das Stück von Gillette nach Buffalo ist immer noch eine grossen Unbekannte. Valentin und ich sind uns einig, dass wir lieber einen Tag lang 100 km Autobahn fahren, als zwei Tage im windigen Hinterland des Cowboy-Staats ohne Tankstellen und sowieso keinen Motels rumkurven. Susan, die nette Dame am Info-Desk, recherchiert für uns im Internet, der etwa 100-jährige Assistent fragt einen glatzköpfigen Besucher mit riesigen gelben Hosenträgern nach Rat. Die Herren raten uns, die State Police anzurufen und Susan, die weiss, dass Internet existiert, hat einen Blog gefunden, wo zwei Velofahrer die Interstate auf genau dem Stück befahren haben. Unsere Route durch Wyoming nimmt in dem Moment wieder eine andere Richtung. Ich halte euch auf dem Laufenden! Valentin campt heute auf den Fair Grounds von Newcastle, ich im Hill Top Motel. Wir beschliessen, morgen wieder gemeinsam zu fahren. Wir haben die nächsten Tage die selbe Strecke und weder er noch ich wollen bis Gillette einen Ruhetag einlegen. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden treffen würde, mit dem ich längere Zeit unterwegs sein wollen würde. Aber wir verstehen uns bestens, haben ein ähnliches Tempo und nehmen nun jeden Tag vorzu. Heute habe ich übrigens einen persönlichen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt: Ich bin mit 60.8 km/h den Hügel runter Richtung Wyoming-Grenze gebraust! Ganz nach dem Motto: Ride like the wind.
Dieses Video von Wyoming Tourism müsst ihr euch anschauen. Seit South Dakota läuft das auf allen Fernsehsendern während den Werbepausen. Es besingt so schön unsere ersten paar Tage im Cowboy State: We are roamin' Wyoming - sun shining - weels rolling. Natürlich sind mit den Wheels die der motorisierten Vehikel gemeint. Aber es ist schön zu sehen, dass die Autos und RVs im Video jeweils Fahrräder hinten auf-gepackt haben. Es widerspiegelt wirk-lich das Bild, das wir jeden Tag auf den Highways sehen: Velos auf den Campern, jedoch nicht auf der Strasse :) Aber ich hab ja Valentin, womit ich nicht die Einzige auf zwei unmotorisierten Rädern auf der Strasse bin. Unsere Fahrgemeinschaft trifft sich heute Morgen um 09.00 am Lichtsignal in Newcastle. Da es in dem Ort nur eines gibt, ist das ziemlich einfach. Nach wenigen Kilometern merken wir, dass wir einen schwachen Wind im Rücken haben. Ohne grosse Mühe fahren wir über lange Strecken um die 25 km/h. Wir beschliessen nach einer Stunde Fahrt, dass wir bis nach Gillette fahren wollen - statt nach Moorcroft, das gerade mal 76 km von Newcastle entfernt liegt. Das wären dann 125 km für den heutigen Tag. Weil uns verschiedene Leute in South Dakota gewarnt haben, dass die Winde in Wyoming äusserst stark, und meist von Westen, wehen, haben wir uns für die nächsten Tage nur kurze Strecken vorgenommen gehabt. Es scheint so, dass wir bis anhin äussersts viel Glück hatten, was die Wind-verhältnisse betrifft. Oder alle anderen übertreiben einfach masslos und sind Mimosen. So schwer es mir fällt: Wahrscheinlich ist es die erste Annahme. Glück hatten wir auch mit dem Wetter in den letzten Tagen. Die Vorhersagen haben uns Stürme und Regen vorausgesagt, denen wir mirakulöserweise immer entgangen sind. Ich hoffe, das bleibt auch weiterhin so. Unsere Route führt uns heute während der ganzen 125 km Zuggleisen entlang. Darauf werden vor allem Unmengen von Kohle, Erdöl und -gas, Salz, Uran- und Eisenerz sowie immer mehr Methangas transportiert. Das sind gegenwärtig Wyoming's wichtigste Wirt-schaftsszweige. Schaf- und Rinderzucht haben heute 'nur' noch eine signifikante Bedeutung für Kultur und Lebensart der Leute. Und von denen gibts im Cowboy State nicht viele. Mit 560'000 Einwohnern ist der flächenmässig 15. grösste Staat der bevölkerungsärmste aller US-Staaten. So ist der heutige Zielort Gillette mit seinen rund 29'000 Bewohnern die viertgrösste Stadt in Wyoming. Wir verbringen die Nacht in 'America's Energy Capital' - rund 35% der Kohle in den USA kommen von hier. Es hat sich inzwischen so eingependelt, dass ich mir vor Ort ein günstiges Motel suche, Valentin in meinem Zimmer eine Dusche nimmt, wir zusammen Nachtessen gehen und er danach seine Sachen packt, um sein Zelt in einem City Park oder auf sonst einem Stück geschützten Rasen zu installieren. Ich habe ihm im Scherz bereits vorgeworfen, dass er nur mit mir fährt, damit er am Abend eine warme Dusche auf sicher hat. Dafür schlag ich mich nur mit ihm herum, damit ich an meinen bevorstehenden Campier-Nächten nicht allein bin - sagt er :) Auf jeden Fall funktioniert unsere Fahrgemeinschaft hervorragend für den Moment: We are roamin' Wyoming!
Es scheint, unsere Glückssträhne in Sachen Wind ist vorüber - zumindest für heute. Gerade heute. Ich und Val wollen auf der Interstate 90 nach Buffalo gelangen. Das ist eine rund 110 km lange Strecke, 800 positive Höhenmeter und nichts dazwischen. Keine Tankstelle, keine Ortschaft - nichts ausser Hügeln und Grasland. Und heute offensichtlich speziell für uns: Viel Wind. Und diesmal leider nicht zu unseren Gunsten. Ich sehe schon am Morgen nach dem Aufwachen, als ich zum Fenster rausschaue, wie die Landesflagge vor dem Motel in Gillette stramm im Wind steht. Der Tag fängt echt super an. Nebst dem, dass ich zwischen 22.00 und 00.00 gestern etwa 15 Kakerlaken in meinem Zimmer des Lebens berauben musste, ist nun auch noch mein linkes Auge halb zugeschwollen. Ich hatte im Verlauf der gestrigen Fahrt einen Zusammenstoss mit einem Insekt, dass mich im Effekt stechen musste. Blödes Viehch... Wenn ich gleich jedesmal aggresiv werden würde, wenn mich einer auf der Strasse anrempelt, wo kämen wir da hin. Jedenfalls hilft alles jammern nix - wir müssen uns auf den Weg machen. Kurz vor 09.00 geht's los und nach 5 Kilometern weiss ich: Das wird der bisher anspruchsvollste Tag werden. Der Wind pfeift uns mal von Nordwesten, mal von Westen, um die Ohren. Sogar die längeren Strecken bergab lassen uns keine Pause. Wir müssen trampen, damit wir vorwärtskommen. Wir fluchen, lachen, schweigen, fluchen wieder, schauen uns stumm an, lachen. Die Zeit vergeht unendlich langsam, wir fahren beide unser eigenes Tempo. Mal ist Val viele Meter vor mir, mal wieder kurz hinter mir. Wir sind uns einig: Zum Glück sind wir zu zweit hier unterwegs! Sonst wäre dieser Tag unerträglich. Ich für meinen Teil weiss: Ich hätte mindestens zehn Mal zu heulen angefangen, mich zwei Mal versucht von einer der windigen Brücken zu stürzen und wenn das nicht geholfen hätte, hät ich Autostopp gemacht. Sprich: Mich neben meinem Velo auf den Pannenstreifen gelegt und auf ohnmächtig gemacht. Zum Glück war das nicht nötig! Unten hab ich noch ein kurzes Video platziert, quasi als 'Stimmungsbild'. Da ich heute den neunten Tag am Stück unterwegs bin, beschliesse ich kurzerhand, dass es nun definitiv wiedermal Zeit für einen Ruhetag ist. Wenn ich im Motel Big Horn ankommme, werde ich um eine Nacht verlängern, das steht fest. Die Aussicht auf die nächste Etappe - 45 km in den Big Horn National Park mit 1430 Höhenmetern - lässt keinen Zweifel offen. Vor allem auch, weil es da heisst: Campen auf 2200 M.ü.M. Freu mich jetzt aber erstmal auf meinen freien Tag morgen Sonntag!
Meinen gestrigen 'Rest Day' in Buffalo habe ich in vollen Zügen genossen. Seit meinen Freitagen in Chicago und in Arlington Heights bei Thierry und Nathalie, war das mit Abstand der beste Erholungstag. Mein Motel war gemütlich, mit einer kleinen Veranda draussen vor der Tür. So musste ich meine Skype-Anrufe für einmal nicht in einem dunklen Zimmer machen, sondern konnte draussen im kühlen Schatten der Bäume mit Simi, Sara und meinem Vater kommunizieren. Ausserdem hat Buffalo eine kleine Strasse mit dem historischen, wunderschönen Historic Hotel Occidental, einem Outdoor-Laden, einem Second-Hand-Shop, einer Eisdiele und einem Café, sowie einem Visitors Center und einem Ortsmuseum. Wenn ihr das lest mögt ihr vielleicht denken – so what? Aber glaubt mir: Wenn ihr so viele seelenlose, unschöne und verlassene Ortschaften gesehen habt wie ich in den letzten Wochen, dann ist das Disneyland. Ich hab mir zuerst im Visitors Center bei Mary eine Karte für den Bighorn National Park besorgt, wo alle Campgrounds drauf sind. Die nette alte Dame hat mich dann beraten, wo es am schönsten sei für ein Picknick am Mittag und wo wie ich die steilsten Stücke der Etappe zu erwarten hätte. Als sie herausfand, dass ich mit dem Velo unterwegs bin, war ihre Reaktion irgendwo zwischen verzückt und geschockt. Und zum Abschied fragte sich mich noch im vollen Ernst: "Did you just graduate from College?" – "No (dear Mary – denke ich), I'm 38 years old, but thank you – you just made my day!" Die Optiker hier in der Gegend müssen ja sowas von mies sein, ging mir durch den Kopf, als ich mich auf den Weg in den Second-Hand-Shop machte. Dort hab ich mir ausgiebig die schönen Sättel, ausgelatschten Cowboy-Boots und die unzähligen Karohemden angeschaut. Danach gings in den Sportladen und schlussendlich noch ins örtliche Museum. Für 5 USD war das wirklich ein Schnäppchen und ausserdem äusserst interessant. Die Bilder und Geschichten, die ich dort gesehen habe, über Siedler, Trapper, Indianer, Cowboys und sonstige Glücksritter, kannte ich bis vor Kurzem nur aus schlechten Western-Filmen mit John Wayne oder grossen Hollywood-Produktionen wie Far and Away mit Tom Cruise und Nicole Kidman. Das wär's dann gewesen mit meiner homöopathischen Dosis Kultur. Der Waschsalon stand als nächstes auf dem Programm. Bei einem Dutzend Kohleminenarbeiter offenbar auch. Da wurde mir auch klar, wieso es grosse Aufkleber auf den Waschmaschinen und Trocknern hatte, die die Benutzer aufforderten: Use me - I'm for greasy stuff. Nach fast einer Woche, habe ich das erste Mal wieder alleine zu Abend gegessen. Da es seit langem wieder mal einen Chinesen gab, konnte ich mir einen Abstecher dorthin nicht entgehen lassen. Was mich immer wieder erstaunt, wenn ich essen gehen, egal ob allein oder mit meinem französichen Kollegen: Wie schnell die Rechnung auf dem Tisch liegt. Ich musste, glaub ich, noch nie danach fragen. Normalerweise kommt unmittelbar nach dem zweiten Bissen der Hauptspeise die Rechnung. Essen gehen ist hier eher transaktional und der soziale Aspekt spielt so gut wie keine Rolle. Ist mir auch recht, denn wenn ich alleine bin, möchte ich auch nicht stundenlang auf meinem Stuhl sitzen, in der Gegend rumschauen, auf mein iPhone starren und mir trotz Jäcklein bei 15° Celsius alle Extremitäten abfrieren. Zum Abschied gab's dann noch ein nettes: "No box today, hihi hihi." Erst da fiel mir auf, dass alle anderen Gäste den Laden mit Styropor-Boxen und Suppenkartons verliessen. Wohl weil die Portionen so gross waren... Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem ich zum letzten Mal für eine lange Zeit auf dem Velo sitze. Ich verdrücke seit Wochen Unmengen von Essen. Vor zwei Tagen habe ich abends bei Burger King zwei Whopper Jr. mit Käse und einen Apple Pie bestellt und auch weggeputzt. Da ich danach noch nicht satt war, hab ich mir noch einen dritten Burger gegönnt. Nur um später vor dem Fernseher noch eine Packung m&m's nachzuschieben. Und es war nicht so, dass ich tagsüber Nichts gegessen hätte... Also, das war mein Freitag gestern im schönen Buffalo. Heute Morgen geht's rauf in die Berge. 45 km stehen an, mit 1450 positiven Höhenmetern. Ich treffe Val nach etwa 10 km am Strassenrand, da er gestern Nacht im Wald draussen campiert hat. Ich bin schon total durchgeschwitzt, nach den ersten 250 Höhenmetern. Obwohl es bei meiner Abfahrt erst 09.00 war, hat die Temperaturanzeige bei Ausfahrt aus Buffalo bereits 70° F, sprich 21° C angezeigt. Trotz der Anstrengung freu ich mich wie ein kleines Kind auf die Berge. Nach so langer Zeit Grasland ist es eine willkommene Abwechslung und einfach wunderschön. Wir fahren Bergspitzen entgegen, die immer noch stellenweise schneebedeckt sind. Es hat überall kleine Bächlein und der Wald riecht unheimlich gut. Unseren Lunch verbringen wir bei der South Fork Mountain Lodge, etwa nach 25 km Fahrt. Auf Holzbänklein zwischen einem kleinen Teich, Cabins und einem klaren Bergbach geniessen wir unseren Standard-Lunch (der heute auch unser Abendessen sein wird). Irgendwann kommen im 5-Minuten-Takt Radrennfahrer auf ihren Carbon-Bikes zu uns runtergebraust, um ihre Wasserflaschen aufzufüllen. Den ersten fragen wir noch interessiert aus. Der dürre, grosse Mann kommt aus New York und macht mit 40 anderen Radfahrkollegen und –kolleginnen eine 12-tägige Velotour, inklusive Yellowstone und Bighorn. Jeden Tag um die 150 km. Als wir fragen, wo denn das Gepäck oder das Essen sei, meint er, sie hätten einen Koch und einen Fahrer engagiert, der alles von einem Ort zum anderen fährt. Auch nicht schlecht, vielleicht sollte ich mir das für meine nächste Tour auch überlegen... Nachdem aber etwa der zehnte Kollege vorfährt, schauen Val und ich uns nur noch stumm an, um zu sehen, wer von uns beiden unser 'Gschichtli' zum wiederholten Mal aufsagt. Nach fast zwei Stunden schaffen wir es dann doch noch, die restlichen 20 km zu absolvieren. Nun sitze ich auf 2500 m auf dem Campground Lost Cabin, das Zelt steht, die Toilette ist in Gehdistanz, 'geduscht' hab ich an der Wasserpumpe und Val ist irgendwo im Wald mit Kompass, Seife und Fahrrad unterwegs, um einen Fluss zu finden und die Umgebung zu erkunden. Es wird langsam kühl und Zeit für Tortilla mit Chicken und Karotten-Muffin. Um uns rum hat es einige RVs, Autos und Zelte und ich bin mir sicher, dass meine zweite Camping-Nacht in den USA um einiges entspannter sein wird, als in Merriman.
Nachdem ich um 21.00 in mein Zelt und meinen Schlafsack geschlüpft bin, wache ich um 03.00 wieder auf. Trotz Socken und vier Schichten Oberbekleidung ist es nicht grad wohlig warm in meiner Unterkunft. Auf der Anzeige meines GPS' zeigt es etwas mehr als 8°C an. Das Etikett auf meinem Schlafsack besagt, dass er bis 9°C 'komfortabel' warm gibt und bei 5°C das 'Limit' erreicht sei. Soll heissen, dass es dann richtig ungemütlich wird? Ich muss mir in Cody unbedingt einen warmen Fleece und ein paar dickere Socken kaufen. Sonst überleb ich die noch kälteren Nächte im Yellowstone nur mit blauen Zehen und klappernden Zähnen. Während ich über die Verbesserungsmöglichkeiten meiner Camping-Ausrüstung nachdenke, höre ich draussen einen Wolf heulen. Zum Glück ganz weit weg... Kurz darauf scheint ihm ein Kollege zu antworten. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas live höre - schön und zugleich etwas gespenstig. Ansonsten ist es mucksmäuschenstill. Irgendwann döse ich wieder ein. Das Erste, was mich Val am nächsten Morgen fragt ist, ob ich die Wölfe auch gehört hätte. Er ist genau so fasziniert wie ich. Nachdem ich Merriman auf einer Camping-Erfahrungs-Skala von 1 bis 10 eine 2 geben würde (und das nur wegen der Dusche im City Park), bewerte ich meine zweite Nacht im Zelt in den USA mit einer 6. Der offizielle Campingplatz im Wald mit Plumpsklo, meine Begleitung und das Feuer in Pfadfinder-Manier gestern Abend geben den Ausschlag dafür. Die Kälte und die fehlende Dusche lassen noch Raum nach oben. Kurz nach 09.30 machen wir uns auf, die letzten 400 Höhenmeter bis zum 9'666 ft. (rund 2'927 Meter) gelegenen Powder River Pass in Angriff zu nehmen. Oben angekommen gibt es erstmal ein Foto-Shooting und Znüni-Pause mit Snickers. Danach freuen wir uns auf die vor uns liegende, rund 30 km lange Abfahrt. Anfangs ziehen wir uns noch ein Shirt über, da es bei Geschwindigkeiten um die 40 bis 60 km/h auf dieser Höhe noch etwas frisch ist. Doch schon bald fühlen wir die immer wärmer werdenden Winde, die um uns rum wehen. Auch die Landschaft scheint sich mit jedem Höhenmeter zu verändern. Von Wald und Wiesen wechselt die Umgebung allmählich in Canyon-ähnliche Felsen und rotes Sandgestein. Val und ich können uns kaum halten vor Begeisterung - so eine beeindruckende Kulisse haben wir selten gesehen. Alle paar Meter schreien wir uns zu: "Oh, look at this" - "Oh, and look at that!". Als wir im Tal ankommen, entdecken wir eine kleine Strasse zu einem grossen Bach, wo wir uns für den Lunch hinsetzen. Kurzerhand packen wir unsere Badehosen aus und kühlen uns in dem eisigen Wasser ab - was uns anfangs Überwindung kostet und mit viel Geschrei, zumindest von meiner Seite, verbunden ist. Aber es ist so herrlich! Als wir eine Stunde später wieder abgekühlt auf dem Velo sitzen, merken wir erst, wie heiss es inzwischen ist - rund 37°C, sprich 100° F. Ten Sleep, der erste Ort seit Buffalo liegt noch rund 12 km entfernt. Dort angekommen, setzen wir uns an einen schattigen Tisch vor der einzigen Tankstelle im Dorf. Wir müssen noch besprechen wohin es nun geht. Es gibt zwei Strassen von hier weg, die wir nehmen können. Die eine, Highway 16, führt uns westlich rund 40 km nach Worland, wo es Motels, WiFi und McDonalds gibt. Die andere, Nowood Lane, führt ins über 50 km entfernte Manderson, wos gar nix gibt, aber die Fahrt dorthin soll sehr schön sein - und es liegt näher bei unserem morgigen Ziel Greybull. Für mich ist klar, wohin es mich zieht und Val hat auch nichts mehr einzuwenden. Die Temperaturen sind so unerträglich, dass jeder heutige Kilometer weniger und die Aussicht auf eine Dusche und McDonalds Argumente genug sind. Wir sind uns in dem Moment zum Glück noch nicht bewusst, dass die kommenden Kilometer bis nach Worland der eigentliche Challenge des Tages sein werden. Ist manchmal besser so... Was uns erwartet ist eine Mondlandschaft-ähnliche, hüglige Umgebung mit über 500 Höhenmetern. Für Manche mag das nach wenig klingen. Aber mit einem Fahrrad, das allein schon über 15 Kilo wiegt und Gepäck, dass mindestens nochmals soviel ausmacht, plus gelegentlichem Seiten- oder Frontwind, plus Temperaturen über 37°C - es ist nicht einfach, das kann ich euch sagen. Kurz vor Worland werde ich beinahe Zeugin eines Road-Kills. Val ist schon etwa 100 Meter weiter vorne, als neben mir ein SUV vorbeibraust und eben in dem Moment von rechts zwei Antilopen auf die Strasse preschen. Ich schrei vor Überraschung so laut auf, dass sogar Val es hört und sich verwundert umdreht. Ich habe keines der Tiere kommen sehen, obwohl ich einiges langsamer bin, als das Auto neben mir. Irgendwie schafft es das erste Tier gerade noch, vor dem SUV rüberzukommen und glücklicherweise ist das zweite einiges langsamer. So manövriert der Fahrer sein Vehikel grad noch knapp zwischen den beiden Tieren hindurch. Der Schreck ist gross, sowohl bei mir als auch bei den Antilopen. Solch eine Kollision ist definitiv nichts, wovon ich auf meiner Reise Zeuge werden möchte. Es sind noch rund 8 km bis Worland. Auf den letzten Kilometern funktioniert endlich mein Handy wieder und ich kundschafte noch während der Fahrt die Preise zweier Motels aus. Ich liebe meine iPhone!
Wir sind heute in Greybull zur letzten Etappe durch die immer gleiche Graslandschaft in Wyoming gestartet. Rund 84 km sind es bis Cody, dem Ausgangsort zum Osteingang des Yellowstones. Es hat heute Morgenfrüh geregnet und nun ist es angenehm kühl. Val schläft auf einem Stuhl vor meinem Motezimmer, als ich nach 07.00 nach draussen schaue. Offenbar hat gleich um die Ecke vom Motel übernachtet, jedoch nicht in seinem Zelt, und ist somit vor rund 1.5 Stunden verregnet worden. Er will es nicht anders :) Wir machen uns kurz vor 08.00 auf den Weg. Der Himmel ist wolkenverhangen und es nieselt immer wieder ganz leicht. Dieser Umstand stört uns nicht gross, ist es doch eher eine angenehme Abkühlung, während wir uns auf unseren Rädern abmühen. Ausserdem habe ich heute die Flipflops montiert. Aber Mühe haben wir wirklich. Heute fällt uns das Pedalen wieder mal schwer. Ich schaff es glatt zweimal von der Shoulder mit vollem Tempo ins Kies rauszufahren. 'Off road' sozusagen. Jedes Mal zum Glück ohne Folgen und nur mit einem grossen Schrecken. Vielleicht hat die Mühe auch damit zu tun, dass die Umgebung seit Nebraska, mit Ausnahme des Big Horn National Parks und den Black Hills, immer gleich oder zumindest ähnlich scheint. Wir haben genung 'grassland' gesehen - wir sind parat für Berge, Seen und Bären! Die Mittagspause halten wir 20 km vor Cody auf einem abgelegenen Aussichtsplateau ab. Bevor wir uns mit viel Gestöhne wieder auf den Sattel setzen, lässt Val noch Willie Nelson's 'On the road again' spielen. Da geht's doch gleich wieder etwas besser! Wir kommen bereits kurz vor 15.00 in Cody an, so dass ich genug Zeit habe, mir in Walmart einen Fleece und Socken, sowie Proviant für die nächsten zwei Tage zu kaufen. Den Weg zum Yellowstone werden wir nicht in einem Stück schaffen. 123 km und 1'720 Höhenmeter sind einfach zu viel für uns und unsere Räder. Und betreffend Temperaturen sieht es nicht so rosig aus. Die letzten Tage ware es tagsüber unter 20°C und Nachts zwischen 2 bis 5°C. Holy moly - das werden äusserst frostige Nächte werden. Ich hab mich schon mal bei Val zur Übernachtung in seinem Zelt angemeldet, falls es zu arg wird mit der Kälte. Aber heute freuen wir uns erstmal noch auf das anstehende Rodeo am Abend. Zuerst gibts noch einen Raspberry Daiquiri beim Mexikaner und dann gehts ab in die Peripherie von Cody zu den Cowboys, Bullen und Rodeo-Clowns. Wir sitzen während dem ganzen Spektakel in Mitten einer riesen Gruppe Franzosen und Val will sich auf keinen Fall als Landesgenossen outen... Würd ich wohl auch nicht :) Auf dem Heimweg machen wir Halt bei Wendy's - der schon geschlossen hat, weil es nach 22.00 ist. Kurzentschlossen fahren wir mit unseren Rädern durch den Drive-Thru, der bis um 01.00 geöffnet hat. Ein unfreundlicher Angestellter, der gerade den Müll zum Kontainer bringt, schnauzt uns an, dass das nur für motor-isierte Vehikel sei. Wo, bitte schön, steht denn das geschrieben? Eine nette Frau in einem SUV, der gerade ranfährt, offeriert uns, unsere Bestellung aufzunehmen. Wir lehnen dankend ab und stellen uns trotzig an die Gegensprechanlage und geben trotz 'Verbot' unsere Bestellung durch. Ein junges, übelgelauntes Mädel am Ausgabeschalter um die Ecke mustert uns zwar mürrisch, aber was wir wollten erhalten wir trotzdem. Na, geht doch! Zurück im Motel verdrücken wir unsere Hamburger und besprechen die nächsten Tage. Wie es aussieht werde ich in der kommenden Woche ausschliesslich campen (falls es die Temperaturen zulassen), keine grosse Chance auf WiFi haben und Empfang mit dem Natel wird auch Glückssache sein. Ganz neue Erfahrungen, die da oben auf mich warten...
Wir haben gestern Nacht noch rausgefunden, dass der Campingplatz Treehill, den wir heute Abend für unseren Zwischenstopp vor Yellowstone anpeilen wollten, keine Zelte zulässt. Offenbar wurden in der Gegend zu viele Grizzlybären gesichtet, so dass nur RVs erlaubt sind. Der Platz wäre perfekt gewesen, da dieser direkt vor der Osteinfahrt in den Nationalpark liegt und wir dann mehr als die Hälfte der rund 130 km bis zum ersten Campingplatz im Yellowstone geschafft hätten. Und die zweite Hälfte ist die, die richtig schön in die Beine geht auf Grund des steilen Aufstiegs... Da hilft alles Jammern und Wenn und Aber nicht: Wir müssen uns nach einer Alternative umsehen, die leider weiter unten liegt. Val ruft heute Morgen als erstes den Shoshone Forest Service an, um sicherzustellen, dass wir eine Lösung von den Rangern persönlich bekommen. In Frage kommt eigentlich nur einer: Der Rex Hale Campground. Der liegt rund 58 km von Cody entfernt. Wir beginnen unsere Fahrt bei schönstem Wetter und machen noch einen Stopp bei Walmart. Wir wollen uns unbedingt Steaks und Corn besorgen, um dieses heute Abend über dem Feuer zu grillieren. Da es bei Walmart wie immer nur alles in grossen Packungen gibt, kaufen wir fünf gefrorene Rib Eye Steaks für 8.99 USD. Die Maiskolben kann man zum Glück einzeln aus riesigen Kisten für wenige Cents fischen. Der Weg über den Osteingang führt zuerst am Buffalo Bill Damm vorbei. Der Name Buffalo Bill mag vielen bekannt vorkommen. Zumindest jenen, die begeisterte Lucky Luke-Fans sind. Fakt ist, dass William 'Bill' Cody der Gründungsvater der gleichnamigen Ortschaft, die wir gerade verlassen haben, war. Und ausserdem ein angesehener Geschäftsmann und begeisterter Jäger war. Deshalb sein Übername Buffalo Bill. Auf unserem Weg zum Damm rauf, passieren wir einen kurzen und einen längeren – 1 km – Tunnel. Natürlich gibt's dort drinnen keinen Pannenstreifen, Beleuchtung sowieso Fehlanzeige und der Mittelstreifen ist doppelt ausgezogen. Wir keuchen die lange dunkle Röhre hinauf, mit etwa zehn Autos, RVs etc. hinter uns. Das hupen der hinteren Fahrer ist auch für uns nicht zu überhören. Und natürlich drängelt sich einer nach dem anderen an uns vorbei. Einige kümmert auch der von oben kommende Gegenverkehr herzlich wenig. In solchen Momenten, wenn wieder mal ein Pick-up mit Anhänger oder ähnliches knapp an uns vorbeirauscht, würd ich jeweils am liebsten laut Obszönitäten hinterher rufen, begleitet von entsprechenden Hand- und Fingerzeichen. Aber hier im Land der NRA-Anhängerschaft muss man aufpassen, dass nicht einer noch anhält und sein Recht auf 'Stand your Ground' geltend macht... Da wünsch ich den Leuten halt still und heimlich eine fiese Magen-Darm-Grippe, eine Kakerlakenplage im Wohnmobil oder kreisrunden Haarausfall. Sie dürften sich sogar noch selber eins davon aussuchen. Nach einem kurzen Boxenstopp im Visitors Center des Damms geht weiter dem See entlang – begleitet von Gegenwind. Eigentlich dachte ich, dass dieses Thema so kurz vor dem Nationalpark erledigt sei. Alle sprechen immer von den starken Winden in den Great Plains. Und jetzt das? Wir verstehen es beide nicht, aber einmal mehr hilft alles Zettermordio nix – es muss weiter gehen. Für Lunch fahren wir kurz vor Wapiti links eine kurze Geröllstrasse Richtung Fluss runter. Zumindest soweit, bis wir die Velos runter stossen müssen, weil der Weg zu steil ist, überall Schlaglöcher sind und zu viele grosse Steine rumliegen. Aber wir wollen unbedingt an diesen Fluss... Ein Grund ist auch der Schatten dort unten – von dem gibt's oben an der Strasse weit und breit keinen. Wir treffen auf unserem Weg einen jungen, blonden Ranger, der mutterseelenallein in seinem Wagen sitzt. Er erklärt uns, er wartet auf Kanus und Schlauchboote, die den Fluss vom Yellowstone her runterkommen. Die kontrolliert er dann, um zu sehen, ob die irgendwelche Pflanzen, Muscheln oder sonstiges Material aus dem Park schmuggeln wollen. Muscheln – really? Und dafür hat einer 100-Stellenprozent bewilligt? Ich frage, wieviele Boote denn da so den Fluss runterkommen. Er meint drei bis vier, wobei ich sicher bin, er hat grosszügig nach oben gerundet. Ich unterlasse es dann nachzuhaken, ob das pro Monat sei… Wir sehen jedenfalls auf unserem ganzen Weg den Fluss entlang bis zum Campingplatz nix, das auch nur annähernd wie ein Kanu aussieht. Kurz nach 16.00 kommen wir auf unserem Campground an, nachdem wir mit viel Glück nur knapp von zwei Gewittern verschont worden sind. Dank Val haben wir auch noch einen Bear Spray gratis erhalten. Nachdem er im Shoshone Forest Visitors Center nach Wandermöglichkeiten von unserem Campground aus gefragt hat, und die rausgefunden haben, dass wir keinen solchen überlebenswichtigen Spray haben, hat uns ein Voluntär einen aufgedrückt. Kaum haben wir uns einen Platz für unsere Zelte ausgesucht, braust auch schon der alte übergewichtige Aufseher mit seinem Quat an. Nach einem kurzen Austausch von Hi's informiert er uns beschwörend: "This is Bear Country, you know." Ähm, ja, wage haben wir das inzwischen mitbekommen. Er erklärt uns im Detail, wie das mit den Boxen für das Essen, Abfall, Toilettenartikel und eigentlich alles, ausser unserem Zelt und Schlafsack, funktioniert. Wir dürfen nicht mal vor Ort Zähne putzen oder unser Geschirr am Platz abspülen. Wir müssen Wasser holen und dann in den geschlossene WCs tun, was immer wir tun müssen. Dass seit acht Jahren kein Bär mehr auf dem Platz war, scheint der Aufseher als Verdienst seiner gründlichen Instruktionen zu werten. Fast paranoid klaube ich ab dann jeden Brosamen und letzte Resten Cole Slaw vom staubigen Boden auf, die während des Nachtessens herumfliegen oder runterfallen. Unser BBQ in the Wild ist herrlich! Wir haben zwar beide keine Ahnung, ob man den süssen Mais in der Schale über, neben, im Feuer brät und dass die fünf Rib Eye's medium-rare vom Grill kommen ist auch eher Zufall. Aber wir lassen es uns schmecken und putzen alles weg. Zum Glück sieht uns niemand, wie wir das machen. Da wir keine Teller haben und ich mein scharfes Sackmesser vor zwei Tagen verloren habe, essen wir auf einer Tortilla und das Fleisch liegt vor uns auf einem Plastiksack. Die Plastikgabel verwenden wir nur zum schneiden der Steaks und um die letzten Resten Cole Slaw vom Mittag zu vertilgen. Essen tun wir sonst vorwiegend mit den Händen und wir geniessen jede Minute davon :) Den Abwasch, wobei es nur ein Messer und eine Plastikgabel gibt, erledigen wir mustergültig im WC. Als ich kurz nach Val zu unserem Schlafplatz zurückkomme, schaue ich ungläubig auf den leeren Platz wo gerade eben noch mein Zelt stand. Jetzt ist es weg. Und Val steht daneben vor seinem, welches etwas windschief aussieht. Es hat so fest gewindet, dass es unsere Zelte vom Platz gefegt hat. Da es Kiesuntergrund ist, konnten wir keine Heringe einschlagen und die Steine, die unsere Zelte befestigen sollten sind einfach weggerutscht. Mein Nachtlager liegt etwa zwei Meter weiterhinten in den Büschen und im Staub, samt Matratze und Schlafsack drin. Ich schimpfe einmal mehr an diesem Tag, aber gleichzeitig halten wir uns beide vor Lachen die Bäuche. So wird das nie was mit meiner positiven Camping-Erfahrung! Inzwischen habe ich vier Steine im Zelt drin und der Wind hat auch komplett aufgehört. Es ist knapp halb Zehn und stockdunkel draussen. Wir befinden uns auf etwa 1'890 M.ü.M. und die Kälte ist bis jetzt noch angenehm. Ich denke, ab morgen wird es dann etwas frostiger werden. Aber morgen ist morgen und ich höre im Moment nur den Fluss ein paar Meter weiter unten rauschen und vereinzelte Autos auf der weit entfernten Strasse vorbeifahren. Es ist alles ganz friedlich im Bear Country – bis jetzt.
Glücklicherweise gabs keinen Besuch von Meister Petz in der Nacht. Und die Temperaturen waren so angenehm, dass ich schlussendlich in meinem Träger-Shirt genug warm hatte. Ich wache kurz nach 08.00 auf und beim öffnen des Zelts scheint mir die Sonne angenehm warm ins Gesicht. Ich liege noch ein paar Minuten in meinem Schlafsack und geniesse die wärmenden Strahlen. Bald schon heisst es aber wieder Zelt trocknen und zusammen packen, frühstücken (Blueberry Muffin, Banane und Apfel), Zähneputzen und Sonnencréme auftragen, Velotaschen montieren - und ab geht's. Unsere Etappen heute sind: Zuerst der Osteingang zum Park auf 2'100 M.ü.M, danach Sylvan Pass auf 2'600 M.ü.M. und dann im stetigen Auf und Ab bis zum Zeltplatz Bridge Bay. Total erwarten uns 75 km und etwas über Tausend Höhenmeter. Und obwohl es die erste Stunde relativ still ist – viel Wind. Der ebenmässige Aufstieg auf die 2'600 Meter ist eigentlich nicht das wirklich anstrengende. Was in die Beine und aufs Gemüt geht, sind die unregelmässigen Windböen, die von vorne und der Seite kommen. Diese machen es einfach unmöglich, einen Rhythmus zu finden. Nach dem Bezahlen der 12 USD Eintritt in den Yellowstone National Park, wird die Strasse enger und die Schulter kleiner. Immer öfter müssen RVs hinter uns stark abbremsen, weil Gegenverkehr naht oder die Fahre nicht um die engen Kurven sehen. Nur mit aufheulenden Motoren kommen sie wieder in die Gänge. Denen soll's auch nicht besser gehen, denk ich mir: Wir schlagen uns mit dem Wind rum, sie sich mit uns. Ich ertappe mich immer wieder, wie ich denke: "Wie weit kann es denn noch sein!?" Die Kurven wollen einfach nicht enden. Je näher wir dem Pass kommen, desto kühler wird es und wir sind den vereinzelten Schneefeldern sehr nahe. Ich kann mir immer wie besser vorstellen, dass es hier tatsächlich anfangs September bereits zu Schneefällen kommen kann. Auf dem kargen Sylvan Pass erwartet mich bereits Val, der ein paar Minuten vor mir angekommen ist. Kurz ein Foto zur Erinnerung und dann nix wie runter Richtung Yellowstone Lake. Die Fahrt runter auf 2'400 M.ü.M ist wunderschön. Wir haben eine grandiose Aussicht über den riesigen See, nicht enden wollende Wälder, viele farbige Blumen links und rechts an der Strasse. Am See unten angekommen halten wir einmal mehr für Fotos und sehen erste Dämpfe in einer Bucht vom Ufer her aufsteigen. Man vergisst so schnell, dass der Yellowstone ja eigentlich ein Vulkan ist. Den ersten Campingplatz im Park, vom Osteingang her, Fisher’s Bridge, können wir leider nicht anpeilen. Der ist nur für RVs. Das heisst, wir müssen für Bridge Bay, den nächstgelegenen und grössten Campingplatz im Park, mit über 400 Plätzen, nochmals 8 km weiter um den See rum. Und morgen wieder zurück. Denn wir wollen nach Canyon Village und dafür müssen wir wieder zur Kreuzung bei Lake Village. Dort machen wir auch kurz Halt, um im dortigen General Store ein paar Esswaren einzukaufen. Die General Store's die es hier an drei oder vier Orten gibt, sind eigentlich so was wie Souvenir-Shops mit einem integrierten Lebensmittelladen in der hintersten, dunkelsten Ecke. Die Auswahl entspricht in etwa der eines Selecta-Automaten am Bahnhof Tiefencastel. Eigentlich bin ich es ja, die jede Menge Esswaren (Joghurt, Cheerios, Cheese Strings, Brot, Turkey-Aufschnitt, Snickers, m&m's) kauft. Ich bin die Tortillas und das Poulet aus der Dose langsam satt und bin für jede Abwechslung dankbar. Val leistet sich lediglich seinen heissgeliebten Banana-Cake. Er beschwert sich, dass alles so teuer sei – sprich eine Banane kostet 30 Cent mehr als bei Walmart. Ich schau ihn schräg an: "Are you serious? You knew everything would be more expensive up here!" Er wird früher oder später nicht drum herum kommen, denn wir verbringen vier Nächte hier oben und haben schon eine in der Wildnis hinter uns. Er weiss es, aber dem kleinen französischen Sparfuchs tut's trotzdem weh. Tja, das ist Yellowstone und nicht mehr das Niemandsland von Nebraska oder Iowa. Und hier sind wir auch nicht mehr die einzigen Touristen auf weiter Flur. Grosse Cars mit asiatischen Reisenden kurven an uns vorbei, amerikanische Senioren in Shorts, Sneakers, weissen Socken und Dschungelhüten steigen aus ihren riesigen RVs aus – back to reality. Nichts destotrotz ist es hier wunderschön und ich freue mich auf die nächsten Tage. Und wir können immerhin sagen, dass wir es aus eigener Kraft hier her geschafft haben. Ich kann es irgendwie selber noch kaum glauben. Anfangs diesen Jahres war es einfach eine Idee. Ich wusste nicht, was es wirklich bedeuten würde und was auf mich zukommt. Nun sitz ich in dieser Minute hier auf dem Campingplatz am Lake Yellowstone und es ist Realität. Diese Reise ist bis jetzt etwas vom Aussergewöhnlichsten und Intensivsten, was ich in meinem Leben erfahren durfte. Ich frage mich, was nach meiner Ankunft in San Francisco sein wird.
Die Nacht war wie zu erwarten, auf gut Deutsch gesagt, saukalt. Trotz Fleece, Velojacke, langem Shirt, Tanktop sowie langen Pluderhosen und Shorts drüber. Glücklicherweise hat mir Val sein Survival Blanket vor dem Eindunklen gegeben, welches ich jetzt über mir ausbreite. Innert kürzester Zeit wird es wärmer in meinem Schlafsack und ich kann bei erträglichen Temperaturen wieder einschlafen. Am Morgen seh ich noch zerknitterter aus also sonst. Ich sehne mich nach einer warmen Dusche. Nach einmal Baden im kalten Bergfluss und einmal Katzenwäsche am Lavabo unseres WC-Häuschen, das wir mit etwa 50 anderen Campern teilen, ist das für die meisten sicherlich nicht unverständlich. Leider gibt's die auf unserem Campingplatz nicht und ich muss bis heute Abend warten. Was das gute ist bei den Temperaturen: Ich konnte mir gestern Abend ein Joghurt kaufen, welches heute zum Frühstück herrlich gekühlt ist und lecker mit den Cheerios schmeckt. Ich versuche das positive an der Sache zu sehen. Wir radeln heute zum nächsten Campingplatz, Canyon Village, der etwa 35 km entfernt liegt. Canyon Village liegt auf dem 'Loop', den wir geplant haben. Die '8' die viele machen, liegt mit den Velos leider in den vier Tagen nicht drin. Auf jeden Fall nicht, wenn wir zwischendurch Zeit für eine kurze Wanderung, ein Bad in einem warmen Fluss oder die Besichtigung der Geysire und Vulkäne haben wollen. Schon nach wenigen Kilometern entlang dem unglaublich klaren Yellowstone River kommt uns auf der anderen Strassenseite eine Kolonne Autos und RVs im Schritttempo entgegen. Angeführt wird sie von einem Bison, der seelenruhig am Rand der Fahrbahn entlang trottet. Hier haben die Tiere Vortritt und überholen liegt bei den engen Verhältnissen oftmals nicht drin. Wir amüsieren uns ab dem Bild jedenfalls köstlich. Alle paar hundert Meter gibt es irgendwas zu sehen: Wasserfälle, Pelikane, fein duftende Wälder, stinkende und brodelnde Lehmvulkane, Bisons, Bisons, Bisons, verschlungene Flussläufe, parkierte Autokarawanen am Strassenrand, die dazugehörenden Chinesen, Koreaner, Deutschen und Amis, ausgerüstet mit Kameras und Ferngläsern der Superlativen. Nur Tourenfahrer haben wir bis jetzt noch nicht entdeckt. Wir haben eigentlich erwartet, dass es den einen oder anderen Kollegen hier gibt. Nicht, dass wir besonders scharf darauf wären. Aber mal sehen, obs heute auf dem Campingplatz welche hat. Die Plätze hier haben sogenannte Hiker Biker-Sektionen, wo Velo- und Töfffahrer ohne Bedarf an Parkplätzen, einquartiert werden. Wenn dann trifft man sie hier am ehesten. Unseren Halt für das Mittagessen machen wir in der Nähe des Yellowstone Rivers, gleich gegenüber einer riesigen Grasfläche voller Bisons. So ein spannendes und eindruckvolles Lunch-Plätzchen werden wir so schnell nicht mehr finden. Mal wälzen sich ein paar Tiere wohlig im Staub, dann begibt sich ein wuchtiges Männchen gemütlich zum trinken an das Flussufer, weiter drüben kriegen sich zwei kleinere Bullen in die Hörner und von irgendwoher kommt eine kleine Gruppe Bisons zu riesigen Herde gerannt. Das ist besser als Orange-Cinema und Theater-Spektakel zusammen. Ich könnte Stunden hier sitzen und dem ganzen Treiben zusehen. In dem Moment bin ich dankbar, jemanden neben mir zu haben, mit dem ich meine Eindrücke teilen kann – und der die gleiche Begeisterung empfindet wie ich. Und so vergeht die Zeit wie im Fluge. Wieder einmal müssen wir uns zwingen, weiter zu radeln. Denn wir haben inzwischen beschlossen, dass wir am späteren Nachmittag eine kurze Wanderung auf den über 3'000 Meter hohen Mount Washburn machen wollen. Das heisst aber, dass wir Autostop machen müssen. Den um auf den Berg zu gelangen, müssen wir von unserem Campingplatz erstmal auf den Dunraven Passen kommen, der etwa 5 km weiter und 300 Meter höher liegt. Wir kommen kurz vor drei in Canyon Village an und erhalten ein Plätzchen nahe beim Eingang, das doch wunderschön abseits in einem Wäldchen liegt. Nicht so wie gestern: Da hatten wir auch einen schönen Platz, und man, war der abseits... Am äussersten Ende des, wohlgemerkt, grössten Campgrounds des Parks, wo wir zum Schluss noch unsere Räder einen steilen Hang raufstossen mussten. Sehr Biker-freundlich. Doch heute haben wir den Laundromat, die Duschen, den General Store und eine Caféteria gleich um die Ecke. Doch erstmal müssen wir uns eine Mitfahrgelegenheit den Berg rauf organisieren. Wir stellen uns also an die Strasse, ich vorne mit meiner schönen Kenneth-Cole-Sonnenbrille, die ich extra aus den tiefen meiner Velotasche gefischt habe – und den stinkenden Velokleidern. Weiter hinten haben sich drei junge Asiatinnen mit einem Kartonschild platziert, die zu den Mammoth Springs wollen. Also auch nördlich wie wir. Leider haben wir kein Schild, aber wir sind nur zu zweit. Und man mag es kaum glauben, aber es dauert nicht einmal fünf Minuten und ein weisser SUV hält an. Drinnen sitzt, Marcos, ein junger Kroatischer Student, der hier den Sommer über arbeitet. Angefangen hat er im Juni als Küchenhilfe und ist inzwischen zum Koch in einer der Lodges aufgestiegen. Wir unterhalten uns bestens und prompt verpassen wir die Ausfahrt für den Ausgangspunkt unserer Wanderung. Was hier bedeutet, man fährt unter Umständen noch eine paar Kilometer weiter, weil es auf den engen Strassen nicht alle paar Meter Wendemöglichkeiten gibt. Schlussendlich kommen wir nach 15.30 am gewünschten Ort an und verabschieden uns dankend von unserem netten Fahrer. Kaum draussen, meint Val: "Oh my god, he was sooo cute!"– "I know!" ist meine postwendende Antwort. Wir müssen beide lauthals lachen. Bis anhin war sein 'Typ' nie meiner. Bevor wir loslaufen informieren wir uns noch kurz an der Infotafel am Wegrand. Da heisst es: Drei Meilen langer Aufstieg, hin und retour vier bis fünf Stunden. Wir fangen an zu rechnen. Das würde heissen, im besseren Fall um 19.30 wieder hier unten? Etwas gar spät für meinen Geschmack. Vor allem, da der Laundromat und der Lebensmittelladen um 21.00 schliessen und wir noch keinen blassen Schimmer haben, wie wir wieder zurück zum Campingplatz kommen. Denn es wird offensichtlich, dass wir die letzten sind, die den Aufstieg in Angriff nehmen. Uns kommen laufend Wanderer von oben herab entgegen. Also wird bei unserer Rückkehr kaum mehr einer auf dem Parkplatz sein, der uns mitnehmen kann und will. Was solls – wir laufen einfach weiter und sehen, wie weit wir kommen. Als wir um 17.00 um eine Kurve biegen, wo wir eine atemberaubende Sicht über den Park in drei Himmelsrichtungen haben, beschliessen wir, hier ein paar Fotos zu schiessen und dann wieder hinunterzulaufen. Nach etwa der Hälfte des Wegs runter, kommt uns eine Familie mit drei Kindern entgegen, in Shorts und T-Shirt, ohne Rucksäcke oder warme Kleidung, frischfröhlich auf dem Weg nach oben. Wir haben inzwischen unsere Fleece montiert wegen des eisigen Windes weiter oben und es ist auch kurz vor 18.00. Die sind ja noch unorganisierter wie wir... Wo die noch hin wollen ist mir schleierhaft, aber ich hoffe nicht ganz hoch. Unten auf dem Parkplatz angekommen stellen wir uns auf die andere Strassenseite um wieder Autostop zu machen. Leider gibt es dort keine eigentliche Shoulder, sprich Anhaltemöglichkeit, für ein Auto. Wir beschliessen einfach mal die Strasse weiter runter zu laufen, in der Hoffnung, einen besseren Platz zu finden. Jedoch sind die Fahrbahnen hier so kurvenreich, dass ich jeden Fahrer verstehe, der an uns vorbeifährt. Nach rund zehn Minuten fährt aber ein oranger Jeep Wrangler an den Strassenrand und eine junge Dame nimmt uns mit. Serena hat grad einige Tag getrampt und hat sich dabei vorgenommen, bei nächster Gelegenheit ebenfalls ein paar Autostopper mitzunehmen. Unser Glück – auch wenn Val und ich uns den engen Beifahrersitz teilen müssen, weil der Wagen bis zum Dach hin vollgestopft ist mit Outdoor Equipment. So schaff ich es doch noch rechtzeitig in den Waschsalon und die Dusche, nachdem wir uns in der Caféteria wieder einmal ein 'richtiges' Abendessen gönnen. Ich geniesse mein BBQ-Chicken mit leckerem Kartoffelstock und Karotten in vollen Zügen. Morgen ist wieder zelten ohne Annehmlichkeiten angesagt: Ausser einem Getränkeautomaten gibt's im Madison Campground nichts fürs leibliche Wohl.
Das Aufstehen fällt mir heute Morgen besonders schwer. Wir haben den Wecker auf 07.00 gestellt, so dass wir genügend Zeit haben uns die Geysire und Wasserfälle auf dem Weg anzuschauen. Ausserdem soll es nicht unweit von unserem Campground Madison einen warmen Fluss haben, den Firehole River. Wir spekulieren auf ein warmes Freiluftbad, so dass die fehlende Dusche auf dem Zeltplatz sich geruchstechnisch nicht bemerkbar macht. Aber was wirklich hart ist: Unser Waldplätzchen hat noch keine Sonne und ich weiss, dass es draussen noch kälter ist als in meinem halbwegs warmen Schlafsack. Zum Glück muss ich dringend auf die Toilette, sonst würd ich wohl jetzt noch dort liegen. Ich steige aus dem Zelt und beim ersten Atemzug seh ich meinen Atem in weissen Schwaden vor mir. Irgendwie hab ich das Gefühl, es wird jeden Tag etwas kälter. Mein GPS zeigt 7°C an, jedoch wird es über Nacht wohl noch ein oder zwei Grad kälter gewesen sein. Wir packen so schnell wie möglich, mit klammen Fingern, unsere sieben Sachen, versuchen unsere Zelte so gut es geht zu trocknen und machen uns auf den Weg. Gestern Nacht haben sich anscheinend noch ein Pärchen und ein einzelner Reisender auf dem Hiker-Biker-Areal niedergelassen. Das Paar ist wie wir mit dem Velo in den Staaten unterwegs, jedoch für ein ganzes Jahr. Der männliche Teil des Duos spielt schon am morgen früh wie ein betrunkener Cowboy auf seinem Banjo und ich frag mich, wo der den Platz auf seinem Fahrrad hernimmt für so ein sperriges Instrument. Eine Blockflöte wär doch viel passender und macht auch nicht so einen unerträglichen Krach im Wald. Die müssen sich wenigstens nie vor einem Besuch von Meister Petz fürchten... Der allein Reisende ist offenbar zu Fuss unterwegs, denn wir sehen weder Fahrrad noch Töff rumstehen. Zum Schlafen hatte er einen dieser Biwak-Schlafsäcke. Dafür können wir beim Verlassen des Platzes ein grosses Messer an seinem rechten Bein ausmachen. Er läuft vor uns zu den Toiletten und wir nehmen ein paar Schritte mehr Abstand. Val getraut sich nicht allein mit dem komischen Kauz in die Herrentoilette und wartet, bis die Luft wieder rein ist. Wir fragen uns, was wohl sein Ziel sein könnte und wie er reist. Denn offen gestanden: Wer nimmt einen bärtigen, sicherlich 1 Meter 80 grossen Typen, mit Militärhose, Messer am Bein und Kampstiefeln in seinem Auto mit? Ich nicht... Bevor wir dann tatsächlich losfahren, gönne ich mir noch einen heissen Tee in der Snack-Bar des General Stores zum warm werden. Eigentlich hät ich den nicht gebraucht, denn schon nach den ersten hundert Metern geht's wieder schön den Hügel rauf. Oben angekommen, zieh ich meine langen Hosen wieder aus und montiere meine Shorts am Strassenrand. Wir fahren in Mitten junger Nadelwälder Richtung Norris Junction, wo es eine grosse Ansammlung von Geysiren gibt. Entlang der Route dorthin sieht man besonders eindrücklich, wie ein Feuer 1988 riesige Flächen Wald niedergebrannt hat und nun neue Bäume nach und nach den Platz ihrer Vorgänger einnehmen. Inzwischen geht es immer wieder lange Stücke bergab und wir geniessen jeden Meter davon. Bei den Norris Geysiren angekommen mischen wir uns unter die restlichen Touristen und knipsen fleissig Erinnerungsbilder der farbigen, stinkenden, sprudelnden und dampfenden Löcher und Basins. Auf dem Weg hierhin haben wir spontan unsere Pläne für den Nachmittag geändert. Nachdem wir gestern so einfach mit Autostop zu unserer Nachmittagswanderung gekommmen sind, wollen wir es ein weiteres Mal versuchen. Bevor wir weiter zu 'unserem' Campingplatz Madison 23 km weiter westlich fahren, wollen wir an der Kreuzung von Norris eine Mitfahrgelegenheit ca. 30 km Richtung Norden zum Boiling River finden. Dieser Fluss vereint warmes sowie kaltes Wasser und soll herrlich zum Baden sein. Also stellen wir uns beim lokalen Campground an die Strasse und warten guter Hoffnung in der gleissenden Sonne auf einen potenziellen Chauffeur. Nach rund einer halben Stunde müssen wir einsehen, dass uns das Glück heute wohl nicht hold ist. Unzählige halbleere Autos sind an uns vorbei gerauscht ohne auch nur mit dem Gedanken gespielt zu haben, zwei verzweifelten Hitchhikern einen Platz in ihrem RV oder SUV anzubieten. Na dann – ein Versuch wars jedenfalls Wert. Meinen kleinen Frust schluck ich mit einem Pack Gummibären runter, während Val seine Badehose in einem Busch wieder gegen die Fahrradhose austauscht. Also machen wir uns halt auf direktem Weg Madison Junction Zeltplatz. Wir montieren zwischendurch noch die Regenjacke, weil dunkle Wolken und starke Winde aufziehen. Regnen tuts zum Glück nicht – bis wir beim Campingplatz ankommen. Dort erwartet uns an der Strasse schon das Zeichen 'Full'. Glücklicherweise wissen wir inzwischen, dass dies nie für die Hiker-Biker-Plätze gilt. Den Spruch, den wir heute zum dritten Mal hören, bestätigt uns, dass man als Töff- oder Velofahrer nie Angst haben muss, auf der Strasse zu enden: "We have never turned down a biker or hiker!" Mit dem Auto oder den RVs siehts jedoch anders aus. Wer keine Reservation hat sucht sich entweder einen anderen Campingplatz oder verlässt den Park ganz. Irgendwo auf einem Parkplatz oder am Strassenrand zu übernachten wird nicht geduldet. Während ich am Ausfüllen der Registrationskarte bin, lausche ich mit einem Ohr der Konversation am Nebenschalter. Dort beschwert sich ein indischer Tourist indirekt, dass er erst einen Bison gesehen hat und er will nun wissen, wo man den mehr davon und ausserdem Bären, sehe könnte. Manche Leute hier haben das Gefühl, der Park sei ein Zoo, wo man garantiert auf seine Kosten kommt. Da kommen mir gleich zwei Geschichten in den Sinn, die in diese Kategorie passen. Jerry, unsere Mitfahrgelegenheit zum Mount Rushmore, hat in einem Nationalpark in Montana das Gespräch zwischen zwei älteren, übergewichtigen Herren überhört, die beim Visitor Center genüsslich ein Glacé schleckten. Dabei meinte der Eine: "I am so disappointed that we have seen so little wildlife this year". 'Wildlife' setzen hier viele gleich mit Bisons, Bären oder Elchen. Hauptsache gross und aussergewöhnlich. Der Rest interessiert fast gar nicht. Die andere Begebenheit haben mir mein Onkel und meine Tante, Dani und Lotti, erzählt, als ich sie letztes Jahr im Norden Finnlands für eine Woche besucht habe. Sie hatten dort während zwischen Dezember und März ein kleines Häuschen gemietet und viel Zeit mit Langlaufen, Schneeschuhwandern und dem unterhalten von Besuch aus der Schweiz verbracht. Offenbar hat es beim lokalen Büro des Reiseanbieters Kontiki tatsächlich eine Beschwerde gegeben, dass man keine Nordlichter während der einen Woche Ferien gesehen hätte, obwohl es in der Broschüre war. So verständlich die Frustration ist, so ist es halt nun mal so, dass die Natur ihren eigenen Fahrplan hat. Nachdem ihm die nette Voluntärin ein paar Tipps gegeben hat betreffend der Sichtung von Bären und Bisons, brennt ihm offenbar noch eine wichtige Frage auf der Zunge: "Is there a McDonald's in the park?" Ich schwöre – das hat er in allem Ernst gefragt. In dem Moment muss ich einfach laut loslachen. Realsatire sagt man dem, oder? Die Dame am Schalter meint nur, dass es einen etwa 21 Meilen entfernt, nach dem West Entrance in Idaho, gebe. Tja, hier gibt's ausser einem Getränkeautomaten definitiv nichts Kulinarisches. Mein Highlight ist aber nicht der lustige Inder sondern die Tatsache, dass ich heute mein erstes Feuer nur mit Holz und Feuerzeug zu Stande gebracht habe. Mein Vater wird so was von Stolz sein, wenn er das erfährt. Während meiner Pfadizeit ist mir das ja nie gelungen. Lag vielleicht auch daran, dass wir öfters in der der lokalen Bäckerei Eisessen waren als im Schlieremer Wald am Feuer machen.
'Eisig' ist das einzige was mir zum heutigen Morgen einfällt. Als ich gestern geschrieben habe, dass es jeden Tag etwas kälter wird, war das nicht so weit hergeholt. Das GPS zeigt 3.6°C an – und das, als wir um 08:15 vom Zeltplatz wegfahren. Eine Frau auf der Damentoilette merkt an: "It’s kind of chilly this morning." Mit meiner Zahnbürste im Mund nicke ich zustimmend und denke: "Kind of? Ich weiss nicht wo du heute geschlafen hast, aber bei mir im Zelt war es arschkalt!" Liebenswürdigerweise hat mir Val in der Nacht seinen Fleece rübergeschoben. So habe ich wiedermal mit fünf Kleiderlagen geschlafen und zum ersten Mal nicht gefroren. Mein Begleiter hat ja den Super-Hammer-Winterschlafsack schläft im T-Shirt. Jedoch auch erst seit zwei Tagen. Davor hat er ohne nix in seiner Schlafhülle genächtigt. Ich mags ihm gönnen und so kann ich wenigstens seine Überlebensausrüstung ohne schlechtes Gewissen benutzen. Es ist so kalt, dass ich beim morgendlichen Zeltabbau nicht mal merke, dass ich mir den Finger in einer Stange eingeklemmt habe und blute. Gegen die Kälte auf dem Velo ziehen wir uns beide ein paar frische Socken über die Hände. Stil spielt zum Glück eine nebensächliche Rolle auf unserer Tour. So fahre ich die erste halbe Stunde mit dem zweiten Paar Diabetes-Socken aus dem Walmart in Cody und bin froh, war es ein Duo-Pack. Und was ich nie gedacht hätte einmal zu sagen: Ich bin gottesfroh, haben wir gleich zu Anfang ca. 200 positive Höhenmeter vor uns. Das wärmt schön von innen. Heute steht der weltbekannte Old Faithful Geysir als Hauptprogrammpunkt an. Der zuverlässige Geysir sprüht verlässlich ca. alle 90 Minuten während ein paar Minuten eine heisse Wassersäule in die Höhe. Dementsprechend füllen sich die unzähligen Bänke rund um den Schauplatz regelmässig mit einer unglaublichen Anzahl Zuschauer. Wir sind um 10.50 vor Ort und ergattern uns einen Platz in der vordersten Reihe. Als der Old Faithful seine Show beginnt müssen sicherlich 1'000 Leute anwesend sein. Hunderte von Ah's und Oh's sind zu hören bei jeder neuen Eruption. Jedoch ist das grosse Schauspiel bereits nach vier oder fünf hohen Wasserfontänen vorbei. Während der halben Zeit schauen Val und ich links in ein ca. 300 Meter entferntes Basin rüber, wo ein anderer Geysir weit höher speiht und länger speiht. Es sieht so aus, als wäre das Spektakel dort unten beim Grand Geysir, dem weltweit grössten regelmässig eruptierenden Geysir, um einiges grösser. Wir fragen uns, wieso alle so ein Tamtam um den guten alten Faithful machen. Muss daran liegen, dass der Grand Geysir nur alle 7 bis 15 Stunden ausbricht. Wir nehmen unseren Lunch in einem Schaukelstuhl vor dem General Store des Areals zu uns. Und beobachten die Massen von Cars, Autos und Leuten, die in Yellowstone-T-Shirts, Safarihüten und Sonnenschirmen rumwuselt. Hier hat der Park wahrhaftig etwas von Disneyland. Das steht so im Kontrast zum heutigen Morgen, als wir dem idyllischen Firehole River entlang fuhren und die Ruhe geniessen konnten. Aber das gehört halt auch dazu und kann auch äusserst amüsant sein. Nach über zwei Stunden Pause schwingen wir uns wieder auf das Fahrrad. Da wir auch heute nur etwas mehr als 60 km zurücklegen, lege ich mich ins Zeug und versuch etwas mehr Tempo zu machen. Hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich heute beim Morgenessen zum ersten Mal einen Blick auf die Kalorienzahl meines Frühstücks-Muffins geworfen habe. Das Monster-Banana-Nut-Teil hat sage und schreibe 660 kcal – so viel wie zwei Whopper Jr. Jedenfalls scheint es zu funktionieren, so dass Val anmerkt: "You are going so fast. What's going on?" Auf etwas mehr als 2'500 M.ü.M. machen wir beim Continental Divide eine Fotopause. Inzwischen habe ich mit meinem USB-Port am Velo meine Kamera und Val’s iPod aufgeladen. Das Ding ist wirklich Gold wert, vor allem in den letzten Tagen, wo es keine Steckdosen zum Aufladen von GPS & Co. gab. Wir beschliessen, die anstehende Abfahrt mit musikalischer Begleitung anzugehen. Ich kriege Val's zweites Kopfhörer-Set und entscheide mich für Britney Spears' Work B**ch. Ich fahre sonst nie mit Musik und habe bis anhin auch nie wirklich das Bedürfnis gehabt, aber die Fahrt runter an den Yellowstone Lake ist der Hammer. Ich habe das Gefühl in einer Spinning-Stunden zu sein, einfach unter freiem Himmel. Die kurzen Strecken, die bergauf gehen, lassen mir fast keinen Atem mehr, aber ich pedale so hart ich nur kann. Ich stelle meinen neuen Geschwindigkeitsrekord von über 66 km/h auf. Unten angekommen halten wir an der Abzweigung zum West Thumb Basin und schauen uns nur lachend an. Das einzige was wir schnaufend rauskriegen ist 'Wow'. Zum guten Glück hat unser Campingplatz von heute Duschen! Die suchen wir dann auch schleunigst auf und wärmen uns unter der warmen Brause auf. Es ist inzwischen bewölkt und kälter geworden. Wir schauen vor dem Essen noch beim Visitor Center vorbei, um den Wetterbericht für die nächsten Tage in Erfahrung zu bringen. Nicht gut, sag ich nur. Heute Nacht soll es eine, wenn auch geringe, Chance auf Schnee geben. Hallo – es ist August! Regen und Stürme sind angesagt für die Gegend. Da wir morgen den Park Richtung Süden verlassen und in den Grand Teton National Park einfahren, hoffen wir auf besseres Wetter. Bis anhin hatten wir ja immer viel Glück. Im Moment sieht es jedoch nicht so aus. Es ist kurz vor 22.00 und es regnet, windet und hat auch schon geblitzt. Meine Finger werden langsam klamm und ich hoffe, es hört bald wieder auf. Die Aussicht auf Kälte kombiniert mit Nässe ist nicht grad prickelnd... Ich wird mir jetzt mal Val's Fleece noch überziehen und mich in meinem Schlafsack vergraben. Ich hoffe nur, ich muss nicht auf die Toilette in der Nacht!
Geschneit hat es zum Glück nicht und heute Morgen um 06.30 scheint sogar wieder die Sonne. Unsere Zelte bringen wir dennoch nicht trocken. Heute ist unser letzter Tag im Yellowstone und wir machen uns auf den Weg in den Grand Teton National Park. Dieser grenzt südlich fast unmittelbar an den Yellowstone National Park und soll atemberaubend schöne Schneeberge, unter anderem den Grand Teton Peak von über 4'100 Meter, vorweisen können. Wir geniessen die Morgensonne auf unseren ersten Kilometern, trotz eisiger Kälte. Lange Hosen, Fleece, Velojacke und Shirt drunter, plus Handschuhe respektive Socken, gehören in den letzten Tagen zu Standardausrüstung am Morgen. Heute ist auch noch die Windjacke drüber, denn es geht anfangs immer wieder längere Strecken bergab. Die richtige Kleidung ist heute eine echte Herausforderung. Sobald es wieder bergauf geht, wird zumindest der Fleece ausgezogen. Bei längeren Abschnitten auch die Windjacke. Nur um oben, kurz vor der Abfahrt, den ganzen Kleiderhaufen wieder überzuziehen. Als auch noch Regenwolken aufziehen, kommen die entsprechenden Hosen noch dazu. Natürlich regnet es dann doch nicht – worüber wir schlussendlich auch nicht traurig sind. Nach rund 64 km und kurz nach 13.00 kommen wir in Colter Bay Village im Grand Teton National Park an. Colter Bay Village liegt wunderschön am Jackson Lake und man hat einen schöne Sicht auf die schneebedeckten Berge. Inzwischen scheint die Sonne wieder recht kräftigvund unser Campingplatz bekommt einiges davon ab. Perfekt um unsere Zelte auszupacken und in der Wärme endlich trocknen zu lassen. Ich habe gehört, dass es hier die Möglichkeit für Ausritte gibt. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen und möchte das unbedingt noch machen, bevor ich in San Francisco ankomme. Und wo besser als im Cowboy State Wyoming? Leider ist die nächste Möglichkeit erst morgen um 08.00, wie ich im Activities Center erfahre. Die Wettervorhersagen für morgen Donnerstag sind jedoch schlecht bis miserabel. Was sie für heute aber auch waren und nun brennt die Sonne seit zwei Stunden auf uns nieder. Ich beschliesse, mich in zwei Tagen in Jackson umzuhören. Dort werde ich voraussichtlich zwei Tage bleiben, bevor ich weiter Richtung Salt Lake City fahre. Somit bleibt mir etwas Zeit um für ein paar Stunden Cowgirl zu spielen. Für den Moment entscheiden wir uns für eine zwei Stündige Wanderung dem Jackson Lake und dem Swan Lake entlang. Das ist die Empfehlung einer netten Dame im Visitors Center. Bei ihr informiere ich mich auch, ob es hier irgendwo WiFi gibt. Das hab ich nämlich irgendwo gelesen. In Yellowstone gabs das in ein paar ganz wenigen Lodges und war für uns Camper nicht verfügbar. Ich hatte einmal kurz 3G und Handy-Empfang in Canyon Village, aber das wars dann auch schon. Sie meint, dass es im nahe gelegenen Restaurant und in der Coin-Laundry sowas geben soll. Hurra, juble ich innerlich. Dann kann ich heute Abend endlich meine Bericht und ein paar Fotos hochladen. Doch fahren wir mit unseren Rädern Richtung Wanderweg und kurz vor Wegbeginn, um unsere Gefährte dort abzustellen. Kaum bremsen wir vor der davor aufgestellten Infotafel, meint ein bärtiger, älterer Herr, begleitet von einem Paar, ob wir etwa vorhätten mit den Velos auf den Weg zu fahren, das sei nämlich verboten und er sei ein Ranger 'off duty' und würde das aber natürlich sofort rapportieren und seine Kollegen informieren. Wir stehen nur stumm da, kommen gar nicht dazu etwas zu sagen. Weiter geht's: Er hätte gerade gestern ein paar Schlaumeier erwischt und verwarnt. Die hätten sich für besonders klug gehalten und seien nach seinem Abgang wieder auf die Mountainbikes gestiegen und weitergefahren. Er sei aber clever gewesen und hätte seine Kollegen informiert, die die Regelmissachter am Wegende dann abgepasst hätten und... Ich habe abgehängt. Wir stehen immer noch stumm da und warten bis er fertig ist mit dem Geschichten erzählen. Keine Ahnung was er jetzt erwartet, das einzige was ich ihm versichern kann ist: "We never had the slightest intention to ride our bikes on the trail. We've been sitting on them all day long, our butts hurt and we can't wait to get off our sattles." Gut haben wir darüber geredet, Neunmalkluger Park Rang... Also machen wir uns auf den Weg, die Badehose haben wir vorsorglich mal eingepackt und schon nach wenigen hundert Metern rutschen wir einen Hang hinunter an einen kleinen Kieselstrand. Schnell in die Badesachen geschlüpft und rein ins kalte Wasser. Es ist herrlich und die Kulisse mit den Bergen einfach einmalig. Als Nebeneffekt haben wir auch grad noch unseren Duschgang für heute abgehakt. Wir legen uns zum Trocknen an die Sonne und dösen vor uns hin, bis die ersten Wolken aufziehen. Wir wollen den Trail noch beenden und laufen die verbleibenden 5 km dem Swan Lake entlang zurück Richtung Hafen. Es ziehen immer mehr Wolken auf, erste Donner sind zu hören, und als mich Val fragt, ob ich mein Zelt zugemacht hätte, fällt mir ein: Nein. Ich habe den Eingang des Aussenzelts offengelassen, damit das ganze Ding gut durchlüftet wird und vollständig trocknen kann. Anfängerfehler! Wir laufen immer wie schneller und ich sehe mich schon das Wasser literweise aus meinem Zelt abschöpfen! Als wir rund 30 Minuten später aus dem Wald rauskommmen sind die Wolken zum Glück am vorbeiziehen – ohne sich über unserem Zeltplatz erleichtert zu haben. Das ist nochmals gut gegangen und ich habe wieder mal etwas dazugelernt, was das Zeltleben betrifft. Danach geht's ab in die Wäscherei, samt Laptop, iPhone und Kamera. Stromladen sowie Webseite aufdatieren ist angesagt. Danach wollen wir imm Lebens-mittelladen nebenan Steaks kaufen und grillieren. Wir haben heute Nachmittag extra beigenweise trockenes Holz gesammelt. Doch um 18.30, als ich Mitten im Kopieren meiner Tagebucheinträge bin, fängt es wie aus Eimern an zu giessen. Das trockene Holz können wir vergessen und es scheint auch nicht so, als ob es in nächster Zeit aufhören würde. Also disponieren wir kurzfristig um und gehen im Ranch Grill Nachtessen. Cheesburger und Chicken Quesadilla stehen statt der Steaks auf dem Programm. Danach geht's in die Bar nebenan für einen Huckleberry Margarita. Willkommen zurück in der 'Zivilisation'!
Es hat die ganze Nacht hindurch geregnet. Im Moment tropft es noch vereinzelt hier und dort. Ausserdem fallen immer wieder Wasserperlen von den Bäumen auf mein Zelt. Ich bin zwar noch trocken, aber die Innenwände meiner Freiluftunterkunft sind nass. Es ist mir klar, dass es bald überall feucht sein wird, sobald ich mich anfange zu bewegen. Das Abbauen und Versorgen der Zelte ist eine unschöne Angelegenheit. Sie sind nass und dreckig und wir haben keine Möglichkeit sie irgendwie anständig zu trocknen oder säubern. Mein Abwischtuch hat sich schon durch und durch mit Wasser vollgesogen. Ich bin nur froh, war dies unsere vorerst letzte Nacht im Zelt. Wir haben zwar gestern noch diskutiert, auf halbem Weg nach Jackson in Jenny Lake einen Halt einzulegen. Wir haben gehört, es soll dort wunderschön sein, gleich unterhalb des Grand Teton Peaks. Aber unter den gegebenen Umständen ist dies kein Thema mehr. Neben uns haben Aaron und Gretchen die Nacht verbracht. Wir haben sie bereits vorgestern auf dem Grant Village Campground kennengelernt, weil sie auf Grund eines Versehens auf den selben Platz eingeteilt wurden wie wir. Er ist Geologe, sie eine Expertin auf dem Gebiet Klimawechsel. Die beiden verbringen zwei Wochen Ferien auf dem Velo, bestens ausgerüstet mit Gaskocher, selbstgemachtem Humus-Pulver, Wäscheleinen und Rückspiegeln an den Helmen. Aber auch sie kämpfen mit den selben Problemen wie wir. Da wir heute wiederum nur 67 km machen müssen und das Wetter gelinde gesagt beschissen ist, setzen wir uns nochmals mit einem heissen Tee in den Laundromat. Wir laden unsere Geräte, kopieren Fotos, checken Facebook und drücken uns drum, raus in die nasse Kälte zu gehen. Kurz vor 11.00 raffen wir uns dann auf, denn es ist für den Moment wenigstens trocken draussen. Wir sind beide leicht frustriert, denn die angeblich schöne Bergkulisse ist wolkenverhangen und wir sehen nur die ersten paar hundert Meter klar. Die Sonne zeigt sich bis zu unserer Ankunft um ca. 13.00 im Jenny Lake Visitors Center überhaupt nicht. Durchgefroren setzen wir uns erstmal dort auf ein paar Sessel, die vor einem warmen Cheminée stehen. Mir knurrt der Magen, aber leider darf man hier drin nicht essen. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als uns draussen vor den General Store auf eine Bank zu setzen. Dabei laufen wir Aaron und Gretchen über den Weg. Respektive Gretchen hängt an einem Pay Phone und diskutiert mit ihrer Schwester, die ihnen für heute Nacht ein Hotel in Jackson organisieren soll. Die Klimatologin ist total frustriert. Morgen fliegen sie vom Jackson Hole Flughafen nach Hause und wollten eigentlich die letzte Nacht auf einem schönen Campground rund 12 km vor dem Ort verbringen. Unter den nassen und kalten Umständen, pfeifen sie jedoch darauf. Ich verstehe die beiden nur zu gut und sogar Val hat nicht vor, die heutige Nacht draussen zu verbringen. Wir wollen uns eine Zimmer in Jackson teilen und unsere Sachen über Nacht reinigen und trocknen. Es wird eine Herausforderung werden, ein preiswertes Motel zu finden. Gretchen und Aaron zahlen 175 USD und meinen, das sei eines der günstigsten Zimmer, die ihre Schwester gefunden hätte. Wir werden uns drum kümmern, wenn wir im Dorf ankommen - hätte nie gedacht, dass ich das mal so locker sehen würde :) Um mich aufzuwärmen, leiste ich mir eine heisse Schokolade im Laden drinnen, was eine wahre Wohltat ist. Inzwischen ist die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen und die Wärme tut unheimlich gut. Val und ich machen uns sogleich auf, um die restlichen 35 km nach Jackson hinter uns zu bringen. Ab hier führt uns die Route auf einem speziellen Veloweg entlang der Haupstrasse an unser Ziel. Wir kreuzen viele Rennradfahrer, einen Tourenfahrer. Wir haben in so kurzer Zeit noch nie so viele Gesinnungsgenossen angetroffen. Nach etwa einer halben Stunde, holen uns Aaron und Gretchen ein. Das liegt vor allem daran, dass Val und ich angefangen haben wieder eine paar Fotos zu machen. Bis jetzt waren wir den ganzen Tag nicht in Stimmung und ausser wolkenbedeckten Bergen und Nebelschwaden überzogenen Seen gabs auch nichts festzuhalten. So radeln wir die letzten Kilometer zu viert, was wieder einmal eine neue Erfahrung ist. Kurz vor 16.00 kommen wir in Jackson an und verabschieden uns von unseren Mitfahrern. Nun geht's auf Motelsuche. Ich wollte eigentlich zu McDonald's um mit Hilfe des WiFi's dort und meinem Laptop eine Unterkunft zu finden, die Val nicht gleich einen Herzstillstand beschert auf Grund des Preises. Doch schon nach wenigen Metern die Hauptstrasse runter sehe ich das Kudar Motel, das ich heute Morgen noch angesehen habe. Es soll dort Zimmer für 89 USD plus Taxe geben. Was mir auf Grund den Aussagen von Gretchen und meinen Recherchen von heute Morgen günstig erscheint. Wir halten also kurz und erkundigen uns nach einem Zimmer. Sie haben gerade noch ein Standard mit King Size Bed. Danach gibts nur noch Cabins ab 120 USD. Ich muss Val klar machen, dass dies ein guter Preis ist und Jackson halt nun mal nicht Fostoria ist. Gerade als wir uns für das Angebot entscheiden, kommen hinter uns zwei Töfffahrer rein, die ebenfalls eine bleibe für die Nacht suchen. Da sind wir ja gerade noch rechtzeitig gekommen. Auf Grund des schlechten Wetters, erklärt uns die Receptionistin später, gäbe es unverhältnismässig viele Last-Minute-Anfragen. Als wir später für das Nachtessen das Hotel verlassen, leuchtet bereits das No- Vacancy-Zeichen an der Strasse. Ich habe inzwischen noch eine zweite Nacht verlängert. Es sind nun 11 Tage, während denen ich Non-Stop auf dem Velo gesessen habe - auch wenns nicht immer die grossen Strecken waren. Ausserdem ist Jackson ein schönes Plätzchen für einen Freitag. Es ist ein kleines Ski-Resort und ein Mekka für Outdoor-Freaks. Entsprechend touristisch ist es hier - aber ganz anders als z.B. in Cody oder Buffalo. Hier gibt es Gallerien, Interior Design Shops, Cafés und Bakeries, wie man sie in grossen Städten der USA findet. Sogar Starbucks hat gleich zwei Filialen hier. Den letzten habe ich in Chicago gesehen und das ist definitiv eine Weile her. Der Rest Day lässt mir auch Zeit, meine nächsten Etappen zu planen. Val's Ziel ist es, nach Denver, Colorado, zu kommen, um von dort über Utah und Nevada rauf nach San Francisco zu gelangen. Wegen limitierten Transportmöglichkeiten in dieser Gegend hier, wollte er eigentlich mit mir noch weiter nach Salt Lake City kommen und von dort mit dem Zug nach Denver reisen. Doch er hat mir kurz nach unserer Ankunft im Motel mitgeteilt, dass er über ein App, eine Mitfahrgelegenheit für morgen Freitag nach Denver gefunden habe. Das kommt für uns beide unerwartet. Natürlich freue ich mich, dass er so eine unkomplizierte Lösung gefunden hat für sein Logistikproblem. Aber das heisst, heute ist unser letzter Abend und ich verliere meinen geschätzten Tourenpartner der letzten zwei Wochen frühzeitig. Wir machen uns deshalb auf zur Snake River Brewery und danach in die Million Dollar Cowboy Bar, um unseren Abschied zu begiessen. Eines ist klar: Wir werden uns sicherlich in Zürich oder Paris wieder sehen.
Ich habe mich gestern von Val verabschiedet. Der Abschied war hastig. Nachdem seine Mitfahrgelegenheit am Donnerstagabend zuerst Abfahrt 11.00 am Freitag vorgeschlagen hatte, wurde das ganze am selben Abend noch auf den Freitagabend 22.00 verschoben. Mich hats gefreut, denn somit hätten wir noch den ganzen Freitag gehabt. Wir sind dann auch entsprechend Frühstücken gegangen. Endlich wieder mal leckeres Omlette, salzige Sausage und gestoasteter Bagel mit Confitüre, bei e.leaven Food Company - sooo lecker. Danach ging Val zurück ins Motel, um mit seiner Cousine zu telefonieren. Ich machte mich auf Erkundungstour des herzigen Städtchens und leistete mir eine Pedicure meiner geschundenen Füsse. Alles natürlich immer bei strömendem Regen... Als ich kurz nach 12.00 zurückkam, hing Val noch immer oder wieder am Telefon. Ich schnappte mir meinen Laptop und setzte mich auf die Couchgruppe neben der Motelrezeption, um ihn nicht zu stören. 30 Minuten später stand er auf einmal vor mir und meinte aufgeregt: "I have to be at Starbucks in five minutes. The guy will pick me up there!" Das ging dann doch alles etwas gar schnell. Wir umarmten und drückten uns noch ein paar Mal und weg war er. Somit starte ich meine Reise heute wieder alleine. Irgendwie ein komisches Gefühl. Aber es ging vorher ohne Begleitung und wird auch jetzt wieder gehen. Fakt ist, dass ich nur noch drei Wochen bis San Francisco habe, wo Sara und Dani auf mich warten. Ausserdem werde ich von Salt Lake City aus rund 300 km südlich im Capitol Reef National Park den Cousin meines Vater, Rolf, und seine Frau, Heather, besuchen. Heather ist ursprünglich aus Utah und die beiden sind seit Juni in Fremont, von wo aus sie Ausflüge mit ihrem RV unternehmen oder einfach die schöne Region geniessen. Um es zeitlich rechtzeitig nach San Francisco zu schaffen, werde ich von Salt Lake City aus mit einem Mietwagen dorthin fahren - mein Velo für einmal im Kofferraum und nicht unter meinem Hinterteil. Ich werde also mehr als genug netten sozialen Kontakt für den Rest meiner USA-Tour haben. Doch jetzt heisst es erstmal in die Gänge zu kommen. Ich will nach Afton, das 111 km südlich von Jackson liegt. Als ich kurz vor 09.00 starte, regnet es glücklicherweise gerade nicht. Was genau fünf Minuten anhält... Da ich sowieso noch für Lunch einkaufen will, halte ich bei Albertson's und setze mich nach meinem Einkauf in den Starbucks neben dem Ausgang. Dort schlürfe ich meinen heissen Tee, verdrücke einen Donut sowie ein Joghurt aus dem Laden und hoffe, dass es bald wieder aufhört zu giessen. Bei der Fleischtheke habe ich eine Unterhaltung zweier älterer Herren überhört, die wie folgt endete: "I believe will have see some snow soon". Der Andere: "I hope so!" Geht's noch? Es ist August und der wünscht sich schon Schnee. Ich würde wahrscheinlich noch jetzt dort sitzen, wenn ich den Regen abgewartet hätte... Um 09.45, als ich das Gefühl habe, die Tropen werden weniger, zwinge ich mich auf den Sattel. Nass wird es heute sowieso werden, egal wie lange ich hier noch ausharre. Kurz darauf hört es tatsächlich ganz auf zu regnen. Ich folge über zwei Stunden dem Snake River Richtung Alpine. Busse überholen mich im Minutentakt, die auf dem Weg zum River Rafting auf dem Fluss sind. Ich erinnere mich an meine erste und letzte Rafting-Erfahrung. Das war in Gstaadt, April 2006, an meinem zweiten DIVE-Workshop, den ich für McKinsey als Recruiter damals organisierte. Es war bitterkalt und hatte vorher tagelang ausgiebig geregnet. Und ich schaffte es natürlich, aus dem Schlauchboot zu fallen. Saukalt war es in dem Bergfluss damals - etwa so muss es hier wohl auch sein. Nein danke, lieber die wie ich. Als ich in Alpine ankomme, rund 60 km von Jackson entfernt, wo ich meinen Lunchstop mache, fängt es grad wieder an, wie aus Kübeln zu regnen. Ich kann mich grad noch unters Vordach des lokalen Supermarkts retten, wo es glücklicherweise einen Tisch mit Bänken hat. Dort schau ich grimmig auf den pitschnassen Parkplatz, verdrücke lustlos mein Turkey-Sandwich, zwei Eier und Baby-Bell-Käse und zwinge mich, ein paar Schlücke Wasser zu trinken. Um mich aufzuwärmen, begebe ich mich danach an die gegenüberliegende Tankstelle für einen Tee. Den es dort leider nicht gibt: Nur Coffee und Hot Chocolate, wie so oft. Also giesse ich mir eine heisse Schoggi und mampfe einen Apple Fritter zwischen Hot Dog-Warmhalte-Boxen und haufenweise Ketchup- und Senfsäcklein. Jetzt wäre es schön, mit Val unterwegs zu sein. Wir hätten sicherlich schon 10 Gründe gefunden, um uns krummzulachen. "It is what it is," sag ich mir und mach mich wieder auf den Weg - nachdem ich mir ein weiteres paar Socken, meine Diabetes-Schlüpfer, über die kalten Füsse gezogen habe. Bis nach Afton geht es weiter mit Blitz, Donner, sonnigen Abschnitten, erneuten Schauern und ab und zu Windböen. Sogar die Viehcher suchen Schutz, wo sie können. Ich radle durch das Star Valley, auf meiner linken Seite das Salt River Range und auf der rechten Seite das Webster Range, das bereits in Idaho liegt. Wenn ich dort rüberschaue, seh ich keine grauschwarzen Regenwolken sondern blauen Himmel mit vereinzelten weissen Wolken. Es wird langsam Zeit, dass ich aus Wyoming rauskomme. So schön es hier war, ich bin bereits seit 16 Tagen im Cowboy State, länger als in jedem anderen Staat, und freue mich auf die kommenden vier: Idaho, Utah, Nevada und California. Ich schau grad aus dem Fenster meines Motels und seh, dass es grad nicht regnet. Guter Zeitpunkt, um mir schleunigst einen Ort fürs Nachtessen zu suchen und noch für morgen einzukaufen.