Vor rund 48 Stunden bin ich in Myanmar angekommen. Die Thais haben übrigens doch bemerkt, dass ich neun Tage zu lange in ihrem geliebten Land war. Der Zollbeamte rechnete mir vor, dass es mich 500 Baht pro Tag kosten würde. Das heisst rund 145 CHF. Schmerzhaft, aber wenigstens ging das ganze unbürokratisch über die Bühne. Ich musste nochmals in die Abflugshalle zurück laufen und einen Bankomaten aufsuchen, damit ich die 4500 Baht in bar begleichen konnte. Aus Frust kaufte ich mir auf dem Weg zurück noch eine Packung gebrannte Erdnüsse mit Sesam. 600 kcal einfach mal so schnell zwischen Check-in und Gate verfuttert. Heute ist mein zweiter Tag in Yangon, der Hauptstadt von Burma. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von der Stadt halten soll. Es ist laut und hektisch – das mag ich grundsätzlich in Städten gerne. Überall wird gerufen, gehupt oder diskutiert. Die meisten Gebäude sind in einem desolaten Zustand. Besonders schade, bedenkt man die vielen kolonialen Bauten, die es hier gibt. Die Hitze empfinde ich als fast unerträglich. Es ist 34 Grad, aber irgendwie für mich schwieriger auszuhalten als in Bangkok. Liegt wohl auch daran, dass es hier so gut wie keine klimatisierten Kaufhäuser, Cafes oder Restaurants gibt, wo man sich für Abkühlung hinflüchten könnte. Kaum auf der Strasse, läuft mir der Schweiss jeweils schon nach kurzer Zeit den Rücken und die Beine hinab. Gestern nach meiner Rückkehr ins Hotel um 17.00 blieb mir buchstäblich die Klobrille am Hintern kleben. Schönes Bild, ich weiss. Als eine Weltstadt würde ich Yangon, ehemals Rangun, auf jeden Fall nicht bezeichnen. Obwohl die Stadt rund 4.5 Millionen Einwohner zählen soll, fehlt ihr dazu noch Einiges. Es ist überall spührbar, dass dieses Land sich unter der Militärherrschaft Jahrzehnte lang vielen Entwicklungen der heutigen Zeit entzogen hat. Aber es holt auf. Telekommunikation ist auf jeden Fall omnipräsent hier. Es gibt Shops, die Smartphones und dazugehörende Verträge verkaufen. Auf der Strasse wird entsprechend jeglich erdenkliches Billigzubehör dazu angeboten. Was man in Yangon im Moment noch vergeblich sucht sind westliche Gastronomieriesen, Detailhandelsketten oder Designer-Läden. McDonald’s, H&M sowie Dior oder Chanel sind hier noch weit weg. Gastronomisch überwiegt die lokale Küche, gefolgt von der indischen. Westliches Essen gibt es vor allem in den wenigen klimatisierten Restaurants, sprich für Wohlhabende. Lokale Restaurants haben meist gar keine Türen und höchstens Ventilatoren und Abends grelles Neonlicht. Gegessen wird sowieso meistens auf der Strasse zwischen, neben, hinter den Ständen. Meist auf kleinen farbigen Plastikstühlen und Tischchen, die es bei uns in der Kinderabteilung zu kaufen gäbe. Essenstechnisch darf hier nicht zimperlich sein. Der Reis oder die Nudeln werden mit der Hand aus Töpfen gefischt und die meisten Zutaten werden ebenfalls mit den Händen beigemischt. Heute beim Mittagessen habe ich nett beobachten können, wie der Chefkoch aus einem halben Schweinskopf Fleisch gezupft hat und das mit einer Sauce, Zucker und Chili mit viel Handarbeit unter die Nudeln gemischt hat. Das Geschirr für meine Nudeln und das Gemüse wurde aus einem mit Wasser gefüllten Kübel heraufgefischt. Trockenwischen gabs nicht und der Kessel stand direkt an der Holzwand vor einer Baustelle. Eben, zimperlich darf man nicht sein. Wenigstens gabs für mich keinen Schweinekopf. Seit gestern kann ich 'vegetarisch' auf Burmesisch sagen und der Typ hat mich doch tatsächlich verstanden! Mode technisch scheint es hier nebst dem traditionellen und weitverbreiteten Longyi (Sarong) nur einen Trend zu geben: Made in China. Baumwoll-T-Shirts gibt's für einen Franken, synthetische Hosen sind für rund zwei zu bekommen und Plastiksandalen sind ebenfalls für um die drei Franken zu ergattern. Hier auf der Strasse wird offensichtlich, dass das Land zu den ärmsten der Welt gehört (BIP pro Einwohner von 1'400 EUR in 2010). Mein Mittagessen vom Strassenstand heute, Nudeln mit Gemüse und Tee, hat gerade mal 1 USD gekostet. In vielen Strassen kann man alte, abgegriffene Second-Hand-Bücher für rund 50 Rappen kaufen. Eine (neue) Zahnbürste kostet gerade mal 40 Rappen und für 15 USD fahr ich morgen rund elf Stunden mit einem klimatisierten Bus ins zirka 600 Kilometer entfernte Kalaw, inklusive Transfer zum Busbahnhof in Norden von Yangon. Ein wahres Paradies für Billigreisende, denkt man sich. Ja und nein. Was verhältnismässig tatsächlich nicht günstig ist, verglichen mit Nachbarländern wie Thailand oder Vietnam, sind Unterkünfte. Ich bezahle hier für ein spartanisch eingerichtetes, äusserst einfaches Zimmer im Beautyland II genau so viel, wie ich in Bangkok für meine Bleibe im D Varee Hiptique Hotel mit Pool bezahlt habe. Stromausfall einmal pro Nacht und fast nie funktionierendes Wifi inklusive. Was auch unverhältnismässig hoch scheint, sind die Gebühren, um an einem Bankomaten mit einer ausländischen Karte Geld abzuheben. Wobei ich sagen muss, dass ich froh bin, gibt es die Dinger überhaupt. In meinem abgegriffenen Lonely Planet von 2012, den ich in Kanchanaburi second-hand gekauft hatte, steht nämlich noch, dass man mit druckfrischen Dollarnoten einreisen müsse, da im ganzen Land keine Bankomaten verfügbar seien, die ausländische Karten aktzeptierten. Die Empfehlung ist, das Geld auf dem Bogyoke Aung San Markt oder im Hotel zu wechseln, da der offizielle Kurs ein Bruchteil von dem auf dem Schwarzmarkt sei. Alles alter Kaffee, kann ich inzwischen sagen - zum Glück. Am Flughafen in Yangon sind bereits die ersten ATMs zu finden und auch in der Stadt sowie den touristischen Ortschaften im Land gibt es solche. Man kann zwar nicht mehr als 300'000 Kyats, was rund 300 USD entspricht, auf einmal abheben und die Fee ist mit umgerechnet 5 USD für lokale Verhältnisse exorbitant. Aber es sind ja eh nur Touristen, die diesen Service beanspruchen. Diese Preispolitik geht auch einher mit dem Kurs, den die Regierung verfolgt. Touristen bezahlen Eintritt für Pagoden und höhere Preise für staatlich betriebene Boote oder Züge. In touristischen Ortschaften, wie zum Beispiel Inle Lake oder Bagan, muss man als Ausländer eine Government Fee entrichten, um einreisen zu können. Und die sind inzwischen auch doppelt so hoch, wie noch vor zwei Jahren. Ich bin gerne bereit, als vergleichsweise reicher Tourist für das Besichtigen schöner Kulturstätten etwas zu bezahlen oder eine 'Touri-Prämie' hinzublättern. Nur bin ich mir nicht sicher, ob das Geld mehrheitlich auch dem Land, sprich dessen Einwohnern, zu Gute kommt. Auf der Korruptionsstatistik der Organisation Transparency International rangiert Myanmar jedenfalls ganz hinten: Zweitletzter Platz von 183 Ländern in 2011. Die Hoffnung stirbt bekanntlich ja zuletzt... Im Grossen und Ganzen entspricht Yangon aber wohl etwa meinen Erwartungen. Wo ich etwas zwiespältig bin, auf Grund von Erzählungen früherer Reisenden: Das Bild des immer freundlichen, hilfsbereiten Burmesen, hab ich so noch nicht erfahren. Aber wahrscheinlich gibt es hier einen Unterschied zur Landbevölkerung. Hat mir ein französisch sprechender Tourist aus Reunion heute Abend in einem Teehaus auf jeden Fall versichert. Trotzdem eine kleine Anekdote gestern an der Sule Paya, nicht unweit von meinem Hotel entfernt, mitten in der Stadt. Die Schuhe mussten, wie immer bei Tempeln, am Eingang gelassen werden. Dort wurden sie von ein paar jungen Frauen entgegengenommen. Ein Schild besagt dort, dass eine Spende nach eigenem Gutdünken willkommen ist. Mach ich dann auf dem Weg raus, dachte ich. Ich bezahlte also erstmal den Ausländer-Eintritt von 3 USD und winkte fünf Meter danach ab, als ich wiederum zu einer Spende für den Tempel aufgefordert wurde. Nach einer halben Stunde in der gleissenden Hitze, verliess ich dann schweissgebadet den Innenhof Richtung Schuhaufbewahrung. Dort zeigte ich einer hochschwangeren Dame meine Schuhe, worauf diese patzig meinte, es koste 1'000 Kyat. Zur Erinnerung: Ich habe heute für 1‘000 Kyat zu Mittag gegessen und das Schild an der Holztheke besagte klar, eine Spende sei nach eigenem Ermessen. Sie bestand aber darauf, dass ich den von ihr geforderten Betrag entrichte und wendete sich säuerlich von mir ab. Am liebsten hätte ich der blöden Schnepfe gesagt, dass sie eine eben solche sei. Aber ich brauchte meine Schuhe, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, barfuss durch diese Stadt zu wandern. Ich hab hier sogar meine Flipflops gegen Ballerinas ausgetauscht. So viel wie hier auf den Boden gespuckt wird, Abfall einfach auf der Strasse landet und Abwässer von irgendwo her auf den Gehsteig sickern – nö danke. Also, meine Schuhe wollte ich um jeden Preis zurück. Ich kramte also den umgrechnet einen USD aus meinem Portemonnaie, konnte mir aber nicht verkneifen, ihr zu sagen: 'You have to write it clearly on your sign if it actually costs a set price'. Daraufhin kriegte ich meine Schuhe, plus 500 Kyats Rückgeld und wurde obendrauf gratis mit einem verachtenden Blick abgestraft. Bitte nicht falsch verstehen. Ich kann den Dollar gut verschmerzen und ich handle mit dem Taxifahrer oder der Gemüsefrau nicht wegen ein paar Rappen. Aber ich lass mich einfach nicht gerne verarschen. Dann lieber so wie Mr. Toe von heute Morgen. Ich war grad auf dem Weg, um mein Busticket nach Kalaw für morgen zu kaufen. Kalaw, vielen Damen bekannt aus dem Buch Herzenhören, ist ebenfalls der Ausgangsort für mehrtägige Trekkings an den Lake Inle. Mr. Toe und mein Weg kreuzte sich beim Strasse überqueren und der 55-jährige fragte mich, ob ich ein Busticket zu kaufen gedenke. Ich bejahte, mir den Schweiss von der Stirn wischend. Hilfsbereit führte er mich geradewegs zu einem kleinen Tischchen, manche mögen dem Büro sagen, auf der anderen Strassenseite. In Mitten von dutzenden gleich aussehender Ticket-Offices sass dort eine junge Frau, mit der in Burma üblichen Thanaka-Paste im Gesicht verteilt. Das soll gegen die Sonne schützen und die Haut bleichen. Bis dorthin hatte mein Freund und Helfer Mr. Toe mir bereits erzählt, dass er Lehrer sei und er wisse, dass die Schweiz vier Landessprachen hätte. Während die Dame mein Ticket organisierte, begann Mr. Toe, mir Tipps für meine nächsten Destinationen zu geben. Wie wild blätterte ich in meinem Reiseführer und machte Notizen. Hilfreich war der Herr auf jeden Fall und den anschliessenden Sprachunterricht in Burmesisch konnte ich gut gebrauchen. Welche Frau möchte nicht wissen, was 'Wo ist die Toilette?' heisst, wenn es wirklich dringend ist. Oder 'Hab ich schon gekauft', wenn der zehnte mit Postkarten angehüpft kommt. Wir lachten viel und zum Schluss, bot er mir dann seine Dienste als Guide an. Ich lehnte dankend ab, denn ich hatte bereits meine Pläne und morgen reise ich ab. Bei der Verabschiedung fragte er mich dann direkt um eine finanzielle 'Entschädigung' nach meinem Ermessen für seine Tipps. Das fand ich OK und ich hatte insgeheim auch damit gerechnet. In einem Land wo das jährliche BIP pro Kopf 1'400 EUR beträgt ist es absehbar, dass die Leute Touristen in erster Linie als willkommene alternative oder zusätzliche Einkommensquellen sehen und nicht primär an einem Kulturaustausch interessiert sind. Nun bin ich gespannt, was mich im Landesinneren erwartet. Und auf die elf Stunden Busfahrt...
Am Mittwoch finde ich mich Punkt 14.00 beim vereinbarten Treffpunkt für die Busfahrt von Yangon nach Kalaw ein. Typisch schweizerisch, denke ich mir, im Bewusstsein, dass in der nächsten Zeit
wohl erstmal gar nichts passiert. Ich sitze also rund eine Stunde schwitzend auf einem der farbigen Plastikstühle unter einem Vordach zwischen Aung San Stadium und dem heruntergekommenen Bahnhof
Yangon's. Dass kurze Shorts und Spaghetti-Träger-Shirts in Myanmar unangebracht sind, macht es nicht grad einfacher. Um mich herum herrscht emsiges Treiben – Pakete werden umhergeschleppt, Briefe
abgegeben, Kisten von kleinen Lastern geladen und irgendwo platziert. Wie immer mit viel Geschrei und Diskussionen. Um 15.00 steht dann auf einmal ein knapp pubertierender Junge vor mir und gibt
mir zu verstehen, dass ich mit ihm mitkommen soll. Wird schon stimmen, versichere ich mir selber. Kurzerhand wird meine 15kg schwere Tasche auf die Ladefläche eines Kleinlasters gehievt und
zwischen Druckerpapier, Eisenstangen und Plastiksäcken zwischengelagert. Ich setze mich auf der Seite auf ein schmales Brett, dass wohl als Sitzfläche gedacht ist. Dann ist wieder mal warten
angesagt. Nach rund einer Viertelstunde setzt sich eine junge Burmesin mit einer riesigen Plastiktasche neben mich und die abenteuerliche Reise durch Yangon's Verkehrschaos kann losgehen. Was ja
hier speziell ist, dass zwar Rechtsverkehr herrscht, die meisten Fahrzeuge aber trotzdem das Steuerrad auf der rechten Seite haben. Ausserdem sieht man, ganz ungewohnt für Asien, kein einziges
Motorrad auf den Strassen von Yangon. Anscheinend hat irgendein Regierungsbeamte einen schlechten Traum gehabt und daraufhin ein Verbot für die Stadt erlassen – no kidding. Jedenfalls wird
schnell klar, dass wir nicht auf direktem Weg zum Busbahnhof fahren. Mal wird dort in einer Seitengasse gehalten und ein Paket aufgeladen und ein andermal wird irgendwo am Strassenrand parkiert
und es werden Briefe abgegeben. Ist ja ganz interessant und man sieht mal noch was anderes von der Stadt, aber ich hab keinen blassen Schimmer, wo ich mich grad befinde. Stimmt die Richtung?
Wissen die noch, dass mein Bus um 17.00 fährt? Um 16.15 werde ich langsam unruhig. Der Laster hält ein weiteres Mal an einer staubigen Hauptstrasse und nach ein paar Minuten, als das Fahrzeug zu
schaukeln beginnt, wird klar, dass es nicht um die Lieferung eines weiteren Pakets geht. Das Gefährt hat einen platten Vorderreifen! Scheisse, denke ich nur. Hier spricht keiner weit und breit
Englisch und ich habe weiterhin keine Ahnung, wie weit es noch bis zum Busbahnhof ist. Ich krame mein Ticket hervor und zeige es meiner Sitznachbarin. Schaff ich das noch, versuche ich ihr leicht
verzweifelt zu kommunizieren. Die schlaue Frau ruft kurzerhand die Busgesellschaft an und scheint denen klarzumachen, dass ich etwas später eintreffen könnte und sie warten sollen. Ich bin ihr
unendlich dankbar, denn die Jungs vorne scheinen eine halbe Ewigkeit zu brauchen, um den Reifen zu wechseln. Glücklicherweise stellt sich schlussendlich heraus, dass sich der Busterminal nicht
all zu weit weg befindet und ich treffe doch noch fünf Minuten vor geplanter Abfahrt ein. Ich habe kurz ein Déjà-vue: Alice und ich haben den Flug nach Koh Chang vor einer Woche auch um
Haaresbreite verpasst. Hätten wir den dämlichen Fahrer auf der Busfahrt von Kanchanaburi nach Bangkok (der eine Stunde zu spät aufkreuzte und dann noch ein Päcklein an der Kaoh San Road
auslieferte) nicht genötigt, uns an einer früheren Metrostation in der Stadt aussteigen zulassen, hätten wir es nicht mehr geschafft. Ich hoffe, dass war’s jetzt mit unangenehmen Überraschungen
für den Moment. Leider weitgefehlt... Zum einen macht sich in meinem Magen ein eigenartiges Rumoren breit. Und das liegt nicht an den holprigen Strassen hierzulande. Ich ahne, dass die
'Myanmar-Pizza', sprich weisser schlabbriger Teigfladen mit Tomate, die ich an einem kleinen Strassenstand (eine Kiste mit Pfanne auf Auspuffhöhe) als Zwischenverpflegung gekauft habe, keine so
gute Idee war. Zu meinem Leidwesen stellt sich dann um 03:30 heraus, dass wir vor rund eineinhalb Stunden bereits in Kalaw waren. Nur dass kein
Schwein etwas gesagt hat und ich und zwei Chilenische Mädels davon ausgingen, dass man uns informieren würde. Da die Busfahrt mit rund 11 Stunden angekündigt war, hab ich mir auch nicht weiter
Gedanken gemacht. Und nun stehen wir zu Dritt mit unserem Reisegepäck vor dem Bus, mitten in der Nacht, umgeben von absoluter Finsternis, einer bis anhin ungewohnten Kälte und
zahllosen dunklen Gestalten. Einer macht uns klar, dass in etwa 1.5 Stunden der Bus aus der anderen Richtung kommt, den wir dann nehmen könnten. "Und
bis dann bin ich hier draussen verfroren oder von wilden Tieren gefressen worden, oder was???", würd ich ihm am liebsten an den Kopf werfen. Sinnlos. Der Bus fährt weiter und ich bin froh, steh
ich in dem Moment nicht allein hier draussen in der Pampa. Ein junger Typ nähert sich uns in gebrochenem Englisch und bietet uns seinen Taxi-Dienst an. Nach Kalaw in 1.5 Stunden für 30 USD. Das
macht zehn für jede von uns. Ist zwar fast so viel wie das Busticket von Yangon aber was solls? Valable Alternative gibt's nicht und ich hab 10 Stutz auch schon dümmer ausgegeben. Ausserdem
werden meine Magenkrämpfe auch nicht besser. Weiter geht’s auf holprigen Strassen und um 05.00 komme ich endlich im Pinewoods Inn in Kalaw an. Auf
1'300 Meter über Meer ist es auch in Myanmar in der Nacht eisigkalt, so dass ich mich mit Faserpelz und Socken unter die Bettdecke verkrieche und hoffe, dass sich mein Magen bis in ein paar
Stunden wieder beruhigt hat. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt...
Nach ein paar Stunden Schlaf, unterbrochen von regelmässigen Gängen ins Bad, mache ich mich kurz vor Mittag auf ins Dorf. Ich fühl mich etwas besser und will nun das dreitägige Trekking an den Inle Lake organisieren. Anja, die ehemalige Recruiting-Verantwortliche von BCG, hat mir diesen in einer ausführlichen und hilfreichen E-Mail über ihre Myanmar-Reise vom letzten Jahre, empfohlen. Anbieter gibt es genügend, denn deswegen kommen die Touristen mehrheitlich in dieses kleine Kaff. Ich buch dann bei Alex und Jack von Green Discovery. Hier geben sich die Guides westliche Namen, da es für uns Ausländer ein Ding der Unmöglichkeit scheint, die lokalen Namen auszusprechen, geschweige denn sich nach mehr fünf Sekunden später daran zu erinnern. Nebst dem Markt gibt es hier sonst nicht viel zu sehen. Ich laufe eine Weile ziellos zwischen den kleinen Gemüseständen umher und mache mich danach auf die Suche nach etwas essbaren. Sprich Reis und Gemüse. Mehr verträgt mein Magen im Moment kaum. Dabei komme ich mit einem rund 30-jährigen Schweden ins Gespräch, der vor einem der Teehäuser sitzt, neben sich seinen Rucksack mit aussen befestigter Schlafmatte. Offenbar war er bis gestern mit seiner Freundin und deren Kollegin unterwegs. Doch irgendwie scheint die Freundin genug vom Schweden gehabt zu haben und hat sich samt Kollegin aus dem Staub gemacht. Darüber muss ich mir als Alleinreisende wenigsten keine Sorgen machen. Bei Reis und Gemüse unterhalten wir uns über Gott und die Welt und natürlich übers Reisen. Mir wird schnell klar, dass der Typ die Art von Backpacker ist, die viel Potenzial hat, mir gewaltig und schnell auf den Keks zu gehen. Er ist eines der Exemplare, das vornehmlich per Anhalter reist und in Klöstern oder bei lokalen Leuten versucht unterzukommen. Kostet noch weniger als fast nicht. Das ganze läuft dann unter dem Ausdruck 'Kulturaustausch'. Sprich: Ich ermögliche es der lokalen Landbevölkerung uneigennützig und selbstlos, mit einem Ausländer in Kontakt zu kommen. Ich bin nicht sonderlich überzeugt von seiner Sicht der Dinge. Wenn ich sehe, wie arm die Leute hier teilweise sind, scheint die Investition von ein paar USD dringender nötig, als nur gerade die ehrenwerte Präsenz eines Low-Budget-Reisenden beim gratis Nachtessen. Nach rund drei Stunden Plaudern bin ich wieder parat fürs Bett. Mein Magen rumort unaufhörlich und ich denke etwas mit Unbehagen an die kommenden drei Tage. 70 km bis Inle Lake, an den ersten zwei Tagen sieben Stunden laufen, am dritten vier. Ich hoffe das kommt gut. Über genügend Toiletten am Weg mach ich mir keine Gedanken. Mutter Natur ist auf jeden Fall besser, als die vielen stinkenden und verdreckten Plumpsklo's, die ich in der Zwischenzeit aufsuchen durfte.
Um 08.30 ist Treffpunkt im Dorf bei Green Discovery. Mein Frühstück besteht aus zwei Scheiben Toast mit etwas Erdbeerkonfitüre, mehr geht nicht. Ich fühl mich nicht unbedingt toll und ich überlege mir für einen kurzen Augenblick, ob es richtig ist, heute auf den Trek zu gehen. Drei Tage in den Hügeln und Feldern des Shan Staats unterwegs, übernachten in lokalen, einfachsten Häusern, mit dem Plumpsklo irgendwo in den Büschen draussen. Aber ich will nicht nochmals ein oder zwei Nächte hier in Kalaw verbringen. Also los, reissen wir uns zusammen und nehmen genügend Klopapier mit Kurz vor Abmarsch lerne ich dann noch meine Mit-Trekker kennen. Da sind der frühpensionierte Ingenieur Joe und seine Frau Phill aus Irland und das französische Ehepaar Adèle und Gérard, beide kurz vor siebzig. Ich bin in dem Moment froh, handelt es sich nicht um eine Gruppe junger, energetischer Backpackers. Das kommt meiner momentanen Verfassung definitiv entgegen, denke ich erleichtert. Und da die liebe Adèle kein Wort Englisch spricht, kann ich auch noch etwas an meinem eingerosteten Französisch arbeiten. Eine Bildungsreise wie aus dem Lehrbuch also. Unser 19-jähriger Guide Axel führt uns durch eine atemberaubend schöne Umgebung. Wir laufen durch Urwald, entlang von Reis-, Chili- und weiss ich nicht was alles für Felder, kommen durch kleine Dörflein, vorbei an vollbesetzten Dorfschulen und hart arbeitenden Frauen, Bauern, Strassenarbeitern und Ochsen. So wunderschön alles ist, so macht sich manchmal doch ein ungutes Gefühl in mir breit. Und ich meine jetzt nicht das in meinem Magen. Wir stampfen hier in unseren Wanderschuhen, mit den High-Tech-Rucksäcken und den grossen Kameras durch eine Welt, die verschiedener nicht sein könnte von unserer. Axel hat mir erzählt, er sei noch nie ausserhalb des Shan Staats gewesen. Für uns unvorstellbar, aber wenn ich mich umsehe, bin ich mir sicher, dass es hier viele Leute gibt, die an einer Hand abzählen können, wie oft sie in ihrem Leben ihr Dorf oder Gemeinde, geschweige denn den Staat verlassen haben. Besonders peinlich berührt bin ich in den Momenten, wo sich Gérald wieder auf ein paar im Feld arbeitenden Frauen stürzt, um sie bei der schweren Arbeit zu fotografieren. Oder Joe, der drei kleine Mädchen in zerlumpten Kleidern vor sich posieren lässt. Solche Szenen hab ich auch schon in Yangon und in Kalaw am Markt beobachten können. Wir Touris, die von der Andersartigkeit so fasziniert sind und alles für zu Hause festhalten wollen. Es kommt mir manchmal vor wie im Zoo: ‚Oh, schau mal dort den niedlichen Affen! Und da dieser lustige Vogel – der ist doch süss! Nur dass die Tiere arme Leute sind, die einfach ihrer täglichen harten Arbeit nachgehen. Die Touristen kennen oftmals keine Zurückhaltung und ich frage mich, was in den Köpfen deren 'Opfer' wohl vorgeht. Einen Anhalt gefällig? Phill hat am zweiten Morgen, nach einem kurzen Morgenspaziergang durch das Dörfchen, enttäuscht gemeint: "They are not so friendly here." Ganz ehrlich – ich versteh's. Immer mehr Touristen marschieren durch die Staubstrassen von ehemals einsamen Bergdörfern, stieren in jeden Garten, knipsen alles was ihnen vor die Linse kommt und erwarten, dass die Leute immer lächeln und freundlich sind. So stand es doch auch im Reiseführer beschrieben: Die lokale Bevölkerung ist bekannt für ihre Freundlichkeit. Ich würd irgendwann auch stinkig werden. Das ist schliesslich nicht Disneyland, wo Mickey Mouse und Donald Duck dafür bezahlt werden, mit einem zu posieren und 'Winke-winke' zu machen. Ich finde es respektlos, wie manche Reisenden keine Grenzen kennen. So enttäuschend langsam der Prozess der Demokratisierung in Myanmar voranschreitet, so erschreckend schnell beginnt der wachsende Tourismus seine ersten Spuren zu hinterlassen. Das Fazit meines dreitägigen Wanderausflugs: Wunderschöne Landschaft und eine andere Welt, kalte Nächte, viel und feines Essen, zum ersten Mal im Leben wilden Bienenhonig aus der Wabe gegessen, (zu) viele Boxenstopps, zwei Blasen an den Füssen und die Erkenntnis, dass ich vielleicht noch einen Französisch-Sprachaufenthalt an meine Reise anhängen könnte.